aufmerksam, glaubhaft

Warum die Kirchen aussterben

Dom in Turku, Finnland

In Deutschland sterben die Kirchen langsam, aber unaufhaltsam aus, weil ihnen die Mitglieder weglaufen. Obwohl ich gläubig bin, denke ich oft: Selbst schuld.
In vielen Kirchen wird eine Sondersprache gesprochen, die sich keinem normalen Menschen erschließt. Wer möchte, das die Botschaft ankommt, sollte sie verständlich formulieren. Und wer möchte, dass Interessierte kommen, sollte so einladen, dass sich möglichst viele angesprochen fühlen. Wenn ich in einem fremden Gottesdienst bin, habe ich selten Lust, irgendwelchen öden, verschwurbelten oder geheimnisvollen Einladungen zu folgen. Oft habe ich den Eindruck, dass Einladungen zum Kirchenkaffee oder Gebetstreffen oder Grillabend so unsexy wie möglich als reine Pflicht herunter gespult werden, weil niemand möchte, dass wirklich fremde Gesichter auftauchen. Alle jammern, weil die Alten wegsterben und die Jungen weglaufen. Aber dass jemand Neues in die verschworene Gemeinschaft eindringt? Bloß nicht! Lieber machen wir in zehn bis zwanzig Jahren die Kirche dicht!
In meiner neuen Gemeinde stellt sich jeden Sonntag der Pastor vor und die Person, die moderiert, ebenfalls. Vor jedem Abendmahl wird erklärt, was jetzt warum passiert und dass alle mitmachen können, die eine Beziehung zu Gott haben. Wer jeden Sonntag dabei ist, findet früher oder später, dass diese tägliche Vorstellung oder die diversen Erklärungen doch mal weglassen werden könnten. Wer so denkt übersieht, dass sie selbst vor einiger Zeit neu und dankbar über genau diese Informationen waren. Wenn wir wollen, dass Gäste kommen und sich langfristig wohlfühlen, müssen wir ihnen einen Grund dazu geben. Wenn ihre Bedürfnisse nicht erfüllt werden und sie sich weder wertgeschätzt noch ernstgenommen fühlen, werden sie nie wiederkommen. Und je weniger Gäste kommen, desto weniger Gäste folgen ihnen.

Keiner da? Krippe in der Mikealskirke, Turku, Südfinnland

Auf der anderen Seite brauchen Kirchen ein klares Profil. Wenn die Pastorin eine Mischung aus dem Parteiprogramm der Grünen mit Sprüchen aus dem Yogakurs vermengt und als Predigt präsentiert, fehlt etwas. Das Alleinstellungsmerkmal, das ChristInnen haben: Dass Gott uns so sehr liebt, dass er seinen Sohn Jesus als Wiedergutmachung für die Scheiße in unserem Leben hat sterben lassen. Und dass Jesus auferstanden ist, weil seine Macht größer als der Tod ist. Dass Jesus mit jedem Menschen befreundet sein und uns im Alltag helfen will. Dass er uns von allem befreit, was unsere Herzen und Körper gefangen hält. Dass er unser Leben so viel spannender, friedlicher und kraftvoller machen möchte, als wir uns das jemals hätten ausdenken können. Und dass nach diesem Leben die Ewigkeit auf uns wartet: Harmonie, Freude, Genuss und Party in unvorstellbarem Ausmaß erwarten uns dort.
Das ist eine fantastische Botschaft, die es wert ist, dass möglichst viele sie hören und zu einem erfüllten Leben finden.
Warum verstecken wir die Power von Gottes Wort hinter altmodischen Ritualen und unverständlichen Worten? Warum lassen wir lieber Leute draußen stehen, als uns für sie und ihre Lebensgeschichte zu öffnen?

aufmerksam, glaubhaft

Unterwegs in einer neuen Kirchengemeinde: Zwischenstand


Nach über zwölf Jahren habe ich mich aus meiner Kirchengemeinde abgemeldet und begonnen, eine neue Heimat für meinen Glauben zu finden. Gleich in der ersten Kirche traf ich nette ChristInnen aus dem Nachbarstadtteil, wo wir uns jede Woche zum privaten Gebetskreis versammeln. Der Gottesdienst dort gefiel mir weniger, sodass ich die Partnergemeinde in einem anderen Viertel ausprobierte. Dorthin gehe ich seitdem in den Gottesdienst, wie ich hier schon beschrieb.
Seitdem nahm ich an einer Infoveranstaltung über die verschiedenen sozialen Engagements der Gemeinde sowie mögliche Ehrenämter teil. Außerdem traf ich mich mit anderen Neuankömmlingen nach dem Gottesdienst im Garten hinter der Kirche zum Kennenlernen. Vor Kurzem fand ein Abend über die historischen Hintergründe und organisatorischen Strukturen der Gemeinde statt. Hier wird wirklich alles getan, damit sich Neue wohlfühlen und zügig orientieren können.
Die Gemeindeleitung empfiehlt allen, die aus anderen Kirchen kommen, ein Jahr lang nur zu schnuppern – ohne Eintritt, ohne Verpflichtungen wie Ehrenämter o.ä. Einerseits, damit die Neuen sich wirklich sicher sind, dass sie bleiben wollen und sie nicht nach wenigen Monaten wieder weiter ziehen. Andererseits, damit die Gemeinde sich darauf verlassen kann, dass neue Mitglieder eine bewusste Entscheidung getroffen haben und wirklich bleiben wollen. Ein sehr sinnvolles System, finde ich. Auch, weil ich auf diese Weise in einem entspannten Kennlernmodus bleiben kann und nicht das Gefühl habe, mich schnell entscheiden und verpflichten zu müssen.
Dank meines Buchprojekts sehe ich sowieso keine zeitlichen Lücken, in die momentan ein Ehrenamt passen würde. Ganz abgesehen davon hat mich das Schreiben am Manuskript, die Recherche und die Bewerbung beim Verlag so viel Energie gekostet, dass ich innerlich gar nicht frei bin, mich kirchlich zu engagieren.
Daher genieße ich weiter die Gottesdienste und das anschließende persönliche Gebet, kleine Begegnungen zwischen Tür und Angel und den wöchentlichen Gebetskreis in der Nachbarschaft. Natürlich freue ich mich darauf, bald engere Beziehungen aufzubauen. Hier und heute fehlt mir dazu die Kapazität, aber eine Woche in Dänemark als Gemeindefreizeit für alle Generationen ist für den Herbst geplant. Spätestens dann habe ich jede Menge Zeit, mehr Kontakte zu knüpfen.