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Amateurin und Animateurin: Aus dem wilden Alltag in der Senioren-Residenz

Als Animateurin in der Senioren-Residenz bin ich oft genug als begeisterte Amateurin unterwegs, die ihr Wissen aus diversen Fachbüchern und privaten Exkursionen teilt, aber nie behauptet, studiert zu haben.
Am Dienstag traf sich die Gartengruppe das erste Mal draußen, um Schnittlauch und Radieschen zu säen sowie die Erdbeerstauden und den Johannisbeerbusch zu inspizieren, die ich neulich gepflanzt hatte. Dabei fiel uns eine riesige, gelb blühende Pflanze auf, bei der wir eifrig rätselten, was es sein könnte. Raps, meinten die meisten, ich tippte auf Senf. Eine Dame verwies darauf, dass zu den Füßen der Pflanze ein Schild mit „Zucchini“ drauf stünde, aber das konnte ich entkräften: Die Zucchini hatten wir letztes Jahr geerntet und zu Waffeln verarbeitet, die Mutterstaude war im Winter friedlich verrottet. Da meine Damen es gewöhnt sind, dass ich ständig Naturmaterial anschleppe und wir neulich eine sehr intensive Achtsamkeits-Sitzung hatten, in der wir alle möglichen Blätter gerubbelt, erschnüffelt und gekaut hatten, legten sie direkt los, sich die Blüten in den Mund zu stecken. Ich hatte sie eigentlich nur zur besseren Betrachtung abgerupft und verteilt…
Während wir also alle kauten und rätselten und ich zusätzlich die Blätter der Pflanze, die sehr Kohlrabi-ähnlich aussahen, verteilte (sie wurden sofort probiert), fragte ich mich so langsam, ob es wohl sein könnte, dass in unserem fröhlich-wilden Gemüsebeet etwas wächst, das eben nicht essbar ist? Vielleicht sogar giftig???
Als gemütliche Gemeinschaftsphase zum Schluss wollte ich aus Brombeerblättern Tee aufbrühen. Da die meisten völlig geschafft davon waren, Samen auszustreuen, begleitete mich nur eine Dame und fragte: „Wo müssen wir denn ganz hin?“ Ich: „Nur einmal hier über das Stück Wiese in die Hecke, das wird ein bißchen abenteuerlich…“ Sie: „Das kennen und lieben wie an Ihnen, deswegen kommen wir ja auch immer wieder!“
Das Rätsel um die gelbe (Gift-)Pflanze nahm ein gutes Ende, weil ich Spätabends in meinem „Essbare Wildpflanzen“-Buch feststellte, dass es sehr wohl Senf war: Acker-Senf.
Na bitte: Ich hatte recht behalten und keiner war vergiftet, was brauchte es mehr, um zufrieden schlafen zu gehen?!
Mein Status als Kräuterexpertin bleibt bestehen und wurde nur von mir selbst angezweifelt…

Am selben Tag wurde ich wieder einmal damit konfrontiert, dass eine Dame sehr entschieden meinte, ich habe Theologie studiert.
Dieser Verdacht wurde in den vergangenen beiden Jahren oft geäußert, weil ich mein Bestes gebe und gab, um in der Coronazeit emotional und spirituell ermutigende Botschaften weiterzugeben: Mit selbstgebastelten Gebetsheften, handgemachten Postkarten, persönlichen Andachtsheften und Gottesdiensten. Da meine SeniorInnen der Meinung sind, dass meine Worte und Gesten von großer Sachkenntnis zeugen, muss ich ja wohl Theologie studiert haben: Eine andere Lösung kommt nicht in Frage.
Dass ich selbst sehr intensiv mit Gott unterwegs bin, mich viel austausche und lese, Übungen praktiziere und mich nach innerem Wachstum ausstrecke: Alles nebensächlich. Schließlich feiere ich Abendmahl und segne alle am Ende des Gottesdienstes, das macht nur die Pastorin – weil ich, offensichtlich genug, keine Pastorin bin, habe ich wohl früher mal studiert.
Da siehst man’s: Rätsel gelöst. Keine Widersprüche erwünscht.
Derartige Zuschreibungen an meine Kompetenz sind einerseits befremdlich und andererseits schmeichelhaft.
Zeigen sie doch, dass oft genug Talent und Fleiß ausreichen, um solide Kenntnisse zu erwerben und die Begeisterung dafür auch bei anderen Menschen zu wecken.
Deshalb möchte ich dich heute ermutigen, deinen Geist zu füttern und praktisch aktiv zu werden.
Welche Themen machen dich neugierig?
Womit hast du früher gern gespielt, bevor du die volle Breitseite des Leistungsdrucks und der Bewertung von außen erleben musstest?
Welche Fachgeschäfte oder Seminare würdest du gern besuchen, traust dich aber nicht hinein, weil du meinst, nicht dazu zu gehören?
Probier es heimlich einfach aus. Ganz klein, ohne große Selbstverpflichtungen, finanzielle Einsätze oder neugieriges Publikum.
Niemand kann wachsen, wenn Erwartungsdruck droht und schnelle Ergebnisse erzielt werden sollen.
Gib dir selbst den Spielraum, lustvoll herum zu probieren. Vielleicht ist es der Anfang von etwas Fruchtbarem, Schönem, dass deine Seele ernährt und später auch deine Mitmenschen erfreut.
Wenn nicht, hast du zumindest für eine Weile die Tretmühle verlassen und deine Komfortzone erweitert – auch viel wert, selbst ohne sichtbare Erfolge.

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Tipps einer Quereinsteigerin

Von der Logopädin zur Eventgestalterin gibt es eine ganze Reihe Stationen, die ich aktuell durchlaufe beziehungsweise plane. Meine Erfahrungen der letzten Monate möchte ich als unvollständige Liste teilen und freue mich über Ergänzungen von Menschen, die ähnliches erleben!

1.) So lange du nicht weiß, wohin du willst, ist jede Richtung die falsche. Und gleichzeitig die richtige. Erst im Ausprobieren klärt sich vieles, und Fehler sind zu Beginn oft Erfolge:
Das macht mir Spaß, hat aber keine Zukunft. Oder: Das ist mir zu aufwändig und rentiert sich nicht. Oder: Hier könnte ich arbeiten, damit ist mir auf lange Sicht aber nicht geholfen.
Langfristig sind es alles Entdeckungen und Erkenntnisse, die sich auszahlen – zu Beginn aber nicht vorhersehbar waren oder wie Unfälle anfühlen.

2.) Gleichgesinnte finden ist ein großes Geschenk. Auch wenn meine Quereinstiegs-Partnerin etwas anderes plant als ich, ist es unbezahlbar, eine solche Begleiterin zu haben. Weder die Festangstellten noch die Mütter in meinem Freundeskreis können sich mit meinem aktuellen Alltag identifizieren. Mit wem spreche ich über all das, was mich beschäftigt? Hier sind Gleichgesinnte Gold wert – zu finden in Kursen, auf Veranstaltungen, bei Vorträgen, im Internet.

3.) Durchhalten, durchhalten, durchhalten. Lange Zeit fehlten mir die nötigen Kurse und Fortbildungen, die passenden ArbeitgeberInnen, die richtigen Fachbücher. Inzwischen denke ich, dass das wahrscheinlich normal ist und nur wenige Quereinsteigerinnen gleich sämtliche Kompetenzen und Chancen frei Haus geliefert bekommen (falls es jemandem passiert ist: Die Adresse des Service „Ihr neues Leben steckt in diesem Paket“ hätte ich gern! 😉 ). In diesem Sinne: Bei WegbegleiterInnen ausheulen und danach weitermachen.

4.) Dem eigenen Gefühl vertrauen. Beim Probearbeiten in einem großen Unternehmen präparierte ich mich natürlich entsprechend – nur um vor Ort festzustellen, dass vieles anders gelebt wird. Die erforderliche Arbeitskleidung bestand überraschender Weise aus „normaler“ Alltagskleidung, Grundregeln sahen anders aus, Arbeitstechniken hatten ganz andere Schwerpunkte als erwartet. Wie froh war ich, als ich an all die Lehrbücher dachte, die ich nur geliehen und nicht gekauft hatte: Sie wären nutzlos gewesen, weil das Business längst die Lehre überholt hat! Andererseits wurde ich damit konfrontiert, anders zu arbeiten als in meinen häuslichen Learning-by-Doing-Sitzungen. Immerhin war das vorausschauende Lernen von Fachwörtern korrekt und erfolgreich…
Kurz: Präpariere dich, so gut es geht. Kleide dich, wie du magst. Und sei so flexibel, dass du elastisch auf alles reagieren kannst, das anders ist, als angenommen.

5.) Feiere Erfolge. Alle. Auch kleine. Schreibe Listen, was du geschafft hast, und führe dir deine Fortschritte vor Augen. Egal, wie unbedeutend sie für andere aussehen mögen: Du tust es für dich. Notiere Komplimente, sie sind unbezahlbar und ermutigen dich, deiner Idee treu zu bleiben. Bedanke dich bei allen, die dich unterstützen – und sei es nur die kurze Bemerkung von einer Person, die dir genau in diesem Moment gut tut. Das Leben als Quereinsteigerin ist anstrengend genug, du hast dir Lob verdient!