aufmerksam, glaubhaft

Worauf kommt es wirklich an: Eine persönliche Beziehung zu Gott oder Zeit in der Kirchenbank absitzen?

Gestern sprach ich mit einer (mir bis dahin unbekannten) Frau. Wir starteten gleich beim „Eingemachten“ und so erzählte sie mir, dass sie trotz mehreren Jahrzehnten in der Kirche noch nie Gott erlebt habe. Da realisierte ich, vielleicht zum ersten Mal, wie normal ich es finde, dass Gott mich begleitet. Eine persönliche Beziehung mit Gott ist etwas, das ich so lange lebe, dass ich mich nicht erinnern kann, dass es je anders war. Bereits im Kindergartenalter habe ich lebhaft gebetet und hatte eine sehr klare Vorstellung von Gott. In der evangelisch-freikirchlichen Gemeinde (auch Baptisten genannt), in der ich aufwuchs, stand die persönliche Beziehung zu Gott und der individuelle Glaube immer im Vordergrund. Ein bestimmter Gottesdienstablauf war dagegen nicht so wichtig. Ritualisierte Gebete wie das „Vater unser“ genauso wenig. Auch wenn ich seit einem Dutzend Jahren in einer Gemeinde bin, in der es eine feste Liturgie (Gottesdienstablauf) gibt, ist mein Erleben von Gott im Alltag das, was zählt. Das Miteinander im Gottesdienst und in Kleingruppen hilft, auch dann auf Gott zu vertrauen, wenn der „Draht nach oben“ wackelig wird. Das Einhalten bestimmter religiöser Regeln oder das Sprechen traditioneller, feststehender Gebete kennen wir kaum.

Umso mehr irritiert es mich, wenn ich von anderen Personen höre, wie sie negativ über diejenigen reden, die nicht mehr zum evangelischen / katholischen / sonstigen Gottesdienst kommen. Innerhalb einer Gemeinde finde ich, dass man sich bei denen melden sollte, die seit längerer Zeit vermisst werden. Einfach, um zu hören, ob etwas Zwischenmenschlich Blödes vorgefallen ist, weshalb jemand nicht mehr kommt. Oder der eigene Glaube so von Zweifeln zersetzt wird, dass das Besuchen eines Gottesdienstes als scheinheilig erlebt und daher gemieden wird. Oder ob die Person einfach derart ungünstige Arbeitszeiten hat, dass die traditionellen Termine nicht mehr in den Alltag passen. Über Interesse und Anteilnahme freut sich JedeR.

Und wenn die Person ohne eine klassische Kirchengemeinde glücklich ist, hat niemand das Recht, darüber zu urteilen. Natürlich hilft die Gemeinschaft mit anderen Gläubigen, weil sie über das eigene Denken hinaus neue Impulse und Unterstützung bringt. Wer sich bei den Katholiken, Evangelen und Freikirchen aber nicht unterstützt, sondern eingeengt fühlt, hat die volle Freiheit und das gute Recht, sich davon zu lösen und ohne glücklich zu sein. Meiner Meinung nach zählt nämlich nicht das Absitzen von wöchentlich mindestens einem Gottesdienst, egal, wie es im Inneren aussieht. Sondern es zählt die eigene Beziehung zu Gott, und die ist, wie alle Verbindungen im Leben, Krisen und Schwankungen unterworfen.

Wer nur darauf schaut, dass alle Pappenheimer pünktlich um zehn am Sonntag auf ihrem Stammplatz sitzen, übersieht völlig, dass das nicht das letztlich Entscheidende ist. Weder für Gott noch für uns. Man kann hervorragend im Gottesdienst sitzen und ihn einfach vorbei rauschen lassen. Man kann sich ebenfalls an religiöse Regeln halten und sich anderen gegenüber moralisch überlegen fühlen. Solange Gott nicht im eigenen Herzen wohnt, ist das völlig wertlos. Und das wiederum ist etwas, dass JedeR nur für sich allein entscheiden und erleben kann.
So wünsche ich allen, dass sie Gottes Spuren im Alltag entdecken und sich begleitet wissen.

 

aufmerksam, glaubhaft

Buchrezension: „Die Bibel & ich. Von einem, der auszog, das Buch der Bücher wörtlich zu nehmen“ von A. J. Jacobs

Der Autor ist Journalist bei einer amerikanischen Zeitschrift, lebt in New York und ist theoretisch Jude, praktisch aber Agnostiker. Weil er wissen möchte, warum Menschen der Bibel glauben, was genau darin steht und was passiert, wenn er sich an alle darin enthaltenen Regeln hält, beginnt er ein Projekt: Ein Jahr lang möchte er nach den Maßstäben der Bibel „das Richtige“ tun und seinen verloren geglaubten Bezügen zum Judentum eine Chance geben.
Da die Bibel sich in das deutlich längere Alte Testament sowie das wesentlich kürzere Neue Testament aufteilt, beschäftigt er sich acht Monate mit der jüdischen Thora (dem Alten Testament in der Bibel der Christen) sowie vier Monate mit dem Neuen Testament (das nur die Christen haben).
Einerseits versucht er strikt, alle Gesetze einzuhalten (besonders in der jüdischen Tradition sind diese schier unendlich), andererseits lernt er Juden und Christen verschiedener Glaubensrichtungen kennen. Was genau ist das Zentrum ihres Glaubens? Wie leben sie? Was hat das mit Gott zu tun? Ist das sinnvoll?

Am Ende der Experiments hat er nicht nur zwölf exzentrische Monate hinter sich (Trage ein weißes Gewand, befestige daran Quasten. Rasiere dich nie. Blase zu jedem Monatsanfang das Widderhorn. Berühre niemals eine menstruierende Frau, auch nicht, wenn ihr verheiratet seid. Schlachte ein Huhn. Baue dir eine Laubhütte und schlafe darin. usw. usf.), sondern schaut aus einem anderen Blickwinkel auf Gott und den Glauben.
Er ist toleranter geworden und geneigt, an etwas zu glauben, dass jenseits des menschlich Fassbaren liegt.

Dieses Buch empfehle ich sowohl Personen, die sich für „Religiöses generell“ interessieren als auch für „christliche Insider“. Erstere erleben einen humorvollen, locker geschriebenen Rundumblick auf zwei monotheistische Religionen und deren Glaubenspraxis, letztere reflektieren sich und ihre Mitmenschen dabei aus einem neuen Blickwinkel.

aufmerksam, feminin, glaubhaft

„Sie ist schwarz.“

Es gibt einen Witz, in dem jemand vom Himmel erzählt und sagt, er habe Gott kennengelernt.
Die andere Person fragt: „Und, wie ist er?“
Die Antwort lautet: „Sie ist schwarz.“

Vor einer ganzen Weile habe ich einen Artikel zum Thema „Gott weiblich“ veröffentlicht, der die Ausstellung gleichen Namens in der Schweiz beschrieb – es war allerdings kein Artikel von mir, sondern ein sehr langes Zitat, das ich lesenswert fand.
Nun meine eigenen Gedanken zu dem Thema:
Schon seit einiger Zeit beschäftigt es mich, dass man Gott nur männlich anredet und er durchweg maskuline Attribute hat:
Er wird Gott, Herr, Vater, Herrscher, Richter genannt.
Jesus wird mit sanfteren Namen belegt wie Friedensfürst, Wunderrat (was auch immer das ist), Lamm oder Opferlamm, Tröster, aber auch starker Fels.
Mit ihnen verbindet man Attribute wie heilig, mächtig, allwissend, allumfassend, schöpferisch (und damit kreativ), gerecht (aber auch strafend), geduldig, freundlich (aber auch zornig), gütig/gnädig, zugewandt.
Keiner der Namen und keines der Attribute ist eindeutig weiblich. Auch wenn Jesus manchmal wie die nettere, lieblichere Seite von Gott erscheint (oder dazu gemacht wird), ist es dennoch ein Mann.

Zwei Probleme habe ich damit:
– Zum Einen wird Gott oft als väterliche Person oder direkt als Vater tituliert – abhängig davon, welches Verhältnis man zum eigenen irdischen Vater hat, kann es die Gottesbeziehung beeinflussen: Wenn ich meinen Vater als autoritär und willkürlich in seinen Handlungen erlebt habe, kann es sein, dass ich diese Eigenschaften auf Gott übertrage. Wenn ich meinen Vater als abwesend und nicht greifbar erlebt habe, kann ich auf Gott diese Attribute projizieren.
Dass man Gott dadurch nicht als denjenigen kennenlernt und wahrnimmt, der er ist (nämlich größer als alles, was wir uns ausdenken können), ist klar.

– Zum Anderen ist Gott in den monotheistischen Religionen, nicht nur bei den Christen, immer durch und durch männlich. Zwar tritt er auch freundlich, tröstend und heilend auf, aber dann sehe ich ihn innerlich wie einen tollen Mediziner – weibliche Anteile werden mir dadurch nicht deutlich.
Vor einiger Zeit habe ich in einem Magazin über das Weibliche in der Religion gelesen – darüber, dass es in frühen Religionen als Göttin oder weiblicher Geist vorhanden war und mit Ausbildung des Patriarchats eliminiert wurde. Damals wurde das Weibliche in Form von Fruchtbarkeitsriten verehrt. Sobald die Männer durchschaut hatten, dass Frauen nicht aus sich heraus gebären sondern das männliche Sperma dazu notwendig war, wurde mit den Fruchtbarkeitsgöttinnen kurzer Prozess gemacht und das Matriarchat verlor sich schnell: Ohne den Mann konnte die Frau nicht gebären, und ohne das Attribut der Fruchtbarkeit war den Frauen das Geheimnis und die Macht entzogen – schon war das Patriarchat auf dem Vormarsch.
Die Katholiken haben eine weibliche Bezugsfigur: Maria. Sie ist aber insofern (für mich) nicht ernstzunehmen, da sie grundsätzlich dem Göttlichen unterstellt ist – als Mensch hat sie automatisch einen niederen Rang, und „als Frau erst recht“. Da es mir um die Identifikation mit dem Göttlichen geht, brauche ich Maria nicht, da sie ebenso menschlich ist wie ich. Dass sie heilig ist, ist in meinen Augen Quatsch – ebenso, wie ich von keinem jemals lebenden Menschen glaube, dass er heilig ist.
Zusätzlich wird Maria oft als geduldig, wartend und leidend dargestellt, und das stößt mich sehr ab.

Tja, womit identifiziert sich die moderne Frau im Christentum?
(Um die Frage abzurunden: Womit identifiziert sie sich im Islam? Und in weiteren Religionen? Die monotheistischen Religionen sind allesamt männlich geprägt!)

Darauf wünsche ich mir eine Antwort.