feminin, glaubhaft

So viele SklavInnen wie noch nie zuvor in der Weltgeschichte

Heute erzählte eine Frau, die mit zwangsprostituierten Betroffenen arbeitet, im Gottesdienst von ihrer Arbeit. Dabei wurde als erstes deutlich, dass wir weltweit so viele SklavInnen haben wie noch nie zuvor. Als zweites rüttelte uns auf, dass die meisten Bordelle in unauffälligen Mietshäusern in „ganz normalen“ Wohngegenden überall in Deutschland angesiedelt sind. Auch rund um die Kirche, ohne dass die Bevölkerung etwas davon mitbekommt. Umso schwerer ist es, diesen Frauen zu helfen – und sei es „nur“mit einem Gespräch oder praktischer Hilfe, die noch nichts an der Zwangsprostitution selbst verändert.

Da ich selbst viel zu wenig über das Thema weiß, möchte ich heute vorrangig dazu einladen, sich mit diesem unangenehmen Thema auseinander zu setzen. In unserer Nachbarschaft gibt es nicht nur unsichtbare Sexarbeit. Ebenso werden junge Frauen als Nannys und Haushälterinnen beschäftigt, ohne Lohn, kaum Verpflegung, keiner Kontaktmöglichkeit nach außen und ohne Sprachkenntnisse. Deren Pässe behält die „Gastfamilie“ ein und nimmt ihnen jede Möglichkeit, das Arbeitsverhältnis zu beenden. Es sind eben nicht nur Menschen in Dritte-Welt-Ländern betroffen, deren Leben sich weit weg von unserem abspielt. Deutschland ist mittendrin, und wir sind mittendrin.

UN-Aktionstag über moderne Sklaverei

Sklaverei heute

Moderne Ausbeutung

Global Slavery Index

Film: Billigkraft statt Babysitter in Deutschland

aufmerksam, feminin

Wenn brave Mädchen kritische Frauen werden

 

Dank eines grippalen Infekts, der mich und mein Leben vorübergehend lahmlegte, öffnete sich für mich die Welt derer, die gern Fernsehserien schauen. In diesem Fall nutzte ich den Amazon-Account meines Mannes, um mich von ekligen Schmerzen abzulenken. Dabei stolperte ich über die Serie „Good Girls Revolt“:
Im Jahr 1969 dürfen in einer modernen Redaktion des Wochenmagazins „News of the Week“ Frauen recherchieren, Kontakte spielen lassen, sich im Archiv vergraben und stundenlang Polizeireviere auf der Suche nach Informationen abtelefonieren. Sie dürfen auch auf der Grundlage ihrer Recherchen eine eigene Darstellung des Themas schreiben. Sie dürfen diese allerdings nicht veröffentlichen, und schon gar nicht unter ihrem Namen. Das tut der ihnen jeweils zugeordnete Journalist, der in der Vorlage der Frauen zwei Kommata ändert und fünf Minuten später den Artikel unter seinem Namen veröffentlichen lässt. Bei gleicher Ausbildung dürfen Frauen nur Rechercheurinnen sein, nie Journalistinnen. Und mit einem Bruchteil des Gehalts dürfen sie auch zufrieden sein. Das macht den hübschen, schlanken Mädchen aber gar nichts aus, denn sie sind schrecklich froh, überhaupt arbeiten zu können – und das in einem derart modernen Büro!
Langsam wird ihnen klar, dass ihre beruflichen und persönlichen Lebensumstände nicht so wunderbar und erstrebenswert sind, wie sie bisher glaubten. Den einen dämmert es früher, den anderen später, was innerhalb der Belegschaft zu neuen Dynamiken führt. Die erste (und leider bereits letzte) Staffel endet damit, dass die Frauen sich so weit zusammen raufen, dass sie Beschwerde wegen Ungleichbehandlung gegen ihren Arbeitgeber einreichen und mit einer Pressekonferenz an die Öffentlichkeit gehen.
Die Serie lebt von schwungvollen Dialogen, sehr hübschen und sehr schlanken jungen Frauen, kurzen Röcken, viel Sex, tollem Design von der Frisur bis zur Tapete und einer grundlegend guten Laune, egal, wie dramatisch es zwischenzeitig aussieht. Kurz: Es macht Spaß, zuzuschauen.

Vor kurzem lief bei uns eine ähnliche Serie im ZDF namens „Zarah – Die wilden Jahre“. Hier übernimmt eine durchsetzungsstarke Frau 1973 die Position der stellvertretenden Chefredakteurin in Deutschlands fiktiver größter Illustrierten. Zarah ist, ähnlich wie die Hauptdarstellerin in der amerikanischen Variante, ebenfalls schrecklich dünn und trägt genauso enganliegende Kleider und superkurze Röcke. Davon abgesehen weiß sie vom ersten Moment an genau, was sie will. Sie ist bissig, kantig, pfeift auf nette Konversationen und macht sofort deutlich, worin sie ihre Aufgabe in der Redaktion sieht. Im Privatleben ist sie genauso schlecht gelaunt wie im Beruf, und Gefühle sind nicht so ihrs. Damit das Ganze nicht versehentlich in einen dieser oberrealistischen, pessimistischen deutschen Filme abgleitet, muss sie natürlich Sex haben und nackt zu sehen sein, bloß mit einer Frau statt mit einem Mann.

Was nach dem Konsum beider Serien hängen bleibt:
Frauen im Fernsehen müssen primär dünn sein, dies deutlich zeigen, und regelmäßig nackt auftreten.
Dass die Filme vorrangig Frauen ansprechen sollen, ist an dieser Stelle völlig egal. Die Optik, die alle Filme durchdringt, die Männer machen, muss auch in kritischen Frauenfilmen durchgehalten werden. Wo kommen wir denn da hin, wenn es plötzlich moppelige Frauen im Fernsehen gäbe? Oder welche mit mausbraunem Haar statt roter Mähnen (wie komischerweise beide Hauptdarstellerinnen in Deutschland und USA)? Oder gar Frauen, die nicht eindeutig weiß sind? Nein nein, egal, wie politisch das Thema ist, Frauen sind dünn und oft nackt, das muss so. Auch und gerade in Filmen über Emanzipation. Schließlich weiß ich, Marie Krüerke, ja nicht, wie dünne nackte Frauen aussehen, nachdem ich täglich tausende davon auf Reklametafeln und Zeitschriftenseiten gesehen habe (oder mich selbst im Spiegel…)! Und in den Sechzigern und Siebzigern trugen alle immer superkurze Röcke ohne Strumpfhose, besonders im Winter, wo beide Serien gedreht wurden. Es gab ja keine bodenlangen Walla-walla-Kleider oder wilde Schlaghosen, nein, es gab nur kaum pobedeckende Minis. Ehrlich, die Darstellerinnen müssen beim Dreh chronische Blasenentzündungen gehabt haben. Solch eklige Themen interessiert die Filmcrew aber nicht, das läuft unter „privaten Problemchen“.
Offensichtlich haben selbst in Fernsehprojekten, die politische Revolutionen der weiblichen Hälfte der Bevölkerung darstellen sollen, Männer genug Durchsetzungskraft, dass die herrschenden Schönheitsmerkmale propagiert werden müssen. Und Sexismus in einem Film gegen Sexismus ist nun wirklich Korinthenkackerei.

 

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Mit Herzblut – oder gar nicht

 

Gestern Abend waren wir im „Kampnagel“, einer ehemaligen Fabrik und heute ein Ort der modernen darstellenden Kunst, um uns „Best of Rock the Ballet“ anzuschauen.
Vor einer Reihe von Jahren sah ich die Show im CCH und war absolut begeistert. Das gestrige Erlebnis war sehr durchwachsen: Die Tänzer wirkten als Gruppe nicht harmonisch, bewegten sich nicht synchron, waren nicht im Takt, führten Bewegungen nicht exakt aus. Die Videoprojektionen waren langweilig, fantasievoll eingesetzte Requisiten fehlten dieses Mal völlig. Einzelne Mitglieder der Truppe wirkten extrem arrogant und ließen sich in Einzelauftritten feiern. Die Truppe ist inzwischen so groß, dass kein festes Team zu touren scheint, sondern diverse junge Männer zusammengewürfelt auftreten. Insgesamt wurde die Show einfach abgespult und für den Eintrittspreis war das Ergebnis weder begeisternd noch authentisch genug. Da die Show seit Jahren gutes Geld einspielt, kommt es offensichtlich nicht mehr darauf an, den ZuschauerInnen die bestmögliche Leistung zu liefern.

Später fragte ich mich, was wir im Leben tun, weil es erfolgreich läuft – ohne, dass wir dahinter stehen? Was tun wir, weil es Anerkennung bringt, weil es sicher funktioniert oder weil es sich finanziell rentiert? Obwohl es anstrengend ist, aber wir süchtig nach dem sind, was wir dadurch bekommen? Obwohl wir innerlich müde sind und nur noch auf die Fassade zählen? Obwohl es Zeit wäre, um auf Abstand zu gehen und eine neue Position zu finden? Obwohl uns die guten Ideen längst ausgegangen sind, aber wir nicht den Mut haben, einen Schlussstrich zu ziehen? Im Job, im Ehrenamt, in der Familie?

Das sind gute Gedanken zum Jahreswechsel, finde ich.

 

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Die Macht der Erwartung

Bildung für jedes Alter und jede Herkunft ist ein wichtiges Thema für mich. Daher möchte ich auf diese Sendung im NDR hinweisen, die sich damit beschäftigt, wie uns die Herkunft und der äußere Eindruck von Menschen beeinflussen.
Was entscheidet den schulischen sowie den anschließenden beruflichen Erfolg: Das Elternhaus? Die eigene Intelligenz? Fleiß und der gute Wille?

Wenn ein ungepflegter Mann sich mitten in der Fußgängerzone an´s Herz greift, taumelt, keucht und zu Boden geht – wer hilft? Und wann? Wer hilft nicht – und warum?
Wenn der gleiche Mann frisch gewaschene Haare hat, einen gepflegten Bart und einen Anzug trägt – was ändert sich an der gleichen Szene?

Können wir überhaupt objektiv anderen Menschen begegnen oder sind wir so schnell mit oberflächlichen Beurteilungen beschäftigt, dass ein zweiter Blick nur schwer möglich ist?

Das Experiment mit Linda Zervakis, Mediathek des NDR

 

Helligdomsklipperne

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Zu Besuch im Flüchtlingsheim

Seit einigen Wochen findet in „unserem“ Flüchtlingsheim, das in Luftlinie ca. 200 m von uns entfernt liegt, einmal pro Woche der „Kinderclub“ statt. Ehrenamtliche spielen mit den Kindern, sammeln Spenden und verteilen sie. Bisher hatten wir gutes Wetter, sodass ich mit einigen Mädchen draußen sportlich aktiv war: Springseil schwingen und „Teddybär, Teddybär, dreh dich um“ gefühlte hundert Mal singen, Frisbee werfen, Fußball spielen. Neben vielen guten Erlebnissen gehören dort ganz andere Umgangsformen der Erwachsenen gegenüber den Kindern dazu – für mich schwer zu ertragen, aber ich bin nur Gast.

An dieser Stelle möchte ich teilen, welche Unternehmungen geplant und durchgeführt werden, um andere Ehrenamtliche zu inspirieren. Über weitere Ideen freue ich mich!

Für die Kinder

– Angebote zum Spielen, Basteln, Malen. Drogerien spenden dafür benötigte Mittel wie Papier, Stifte, Knete, wenn sie darum gebeten werden.

– Vorlesen und gemeinsames Anschauen von Büchern mit den Kleinkindern. Hier ist es besonders schön, wenn die Mütter mitmachen und den Kleinen Sicherheit vermitteln. Gleichzeitig entsteht ein besserer Kontakt auch zu den Eltern, als wenn sich Ehrenamtliche und Eltern nur flüchtig auf dem Gelände sehen.

–  Bei gutem Wetter sportliche Gruppenangebote zwischen den Häusern der Unterkunft, um Energie abzubauen und Koordination sowie Fitness aufzubauen: Fußball, Federball, Volleyball (klappt auch mit einem aufgeblasenen Wasserball ohne Netz), Frisbee, Seilspringen, Hüpfekästchen, Tauziehen, usw. Da manche Flüchtlingsunterkünfte auf Sportplätzen oder neben Schulen entstehen, lässt sich erfragen, ob am Wochenende die Turnhalle genutzt werden darf: Damit die Kinder aus den engen Räumen der Unterkunft kommen und auch die Erwachsenen Frust und Angst durch Sport abbauen.

– Hausaufgabenhilfe in den Fällen, wo es keine Ganztagsschule gibt: Schließlich können die Eltern ihren Kindern nicht helfen, wenn diese beim Lernen nicht weiterwissen.

– Kartenspiele, die sich auch nonverbal und mit wenig sprachlichen Mitteln spielen lassen: Beispielsweise Memory, einfach Quartette (keine mit komplexen Merkmalen von Kampfjets und zu erklärenden Sportautos) oder Uno. Andere Spiele wie Make´n´Break, Jenga und ähnliche garantieren gemeinsamen Spaß jenseits sprachlicher Grenzen. Auch Interaktives wie Pantomime (einen Begriff ausdenken oder als Zettelchen ziehen und vorspielen, die anderen raten, was gemeint ist) ist möglich. Schlechte Erfahrungen haben wir mit elektronischem Spielzeug gemacht, da es sehr begehrt ist und viel Streit darum entsteht. Oft machen die fiepsenden Geräusche der Spielzeugspenden zusätzlich die Mitarbeiter im Kinderchaos wahnsinnig. Bei Spenden lohnt es sich, darauf zu achten, dass mehrere Kinder tendenziell friedlich damit spielen können…

– Bei uns spendeten die Viertklässler der örtlichen Schule ihre Ranzen für die einzuschulenden Flüchtlingskinder. Schultüten wurden in der hiesigen Kirche gebastelt und gerecht (!) gefüllt – alle bekamen das Gleiche und mussten nicht erleben, dass deutsche Kinder dicke Schultüten tragen und sie selbst gar nichts. Generell lassen sich Aktionen der Schulen für das örtliche Flüchtlingsheim organisieren: Von bunten Briefen, die überbracht werden, über gemeinsame Aktionen bis hin zu einem „Wandertag“ ins örtliche Flüchtlingsheim, wo die Kinder den Mitschülerinnen zeigen, wie sie leben.

 

Erwachsene

– Lustigerweise fand die AG „Spaziergänge“ kaum positive Annahme, da die teilnehmenden Frauen nicht den Sinn von „Spazierengehen“ verstanden und laut Aussage der Mitarbeiterinnen schon nach kurzer Zeit ausruhen wollten. Davon unabhängig finde ich die Idee, mit den Flüchtlingen zusammen die Umgebung zu erkunden, sehr gut. Bis auf wenige junge Männer aus Afrika (Eritrea?) sind kaum Flüchtlinge außerhalb „unserer“ Unterkunft unterwegs, die Frauen am wenigsten. Rechtlich ist bei Ausflügen mit Kindern zu bedenken, dass dies eine ausdrückliche Rücksprache sowohl mit den Angestellten vor Ort als auch mit den Eltern erfordert.

– Gemeinsames Kochen sowohl deutscher als auch „heimischer“ Gerichte. Diese Idee finde ich hervorragend, weiß aber nicht, ob sie in unserem Fall schon umgesetzt wurde und wenn ja, wie das Echo war.

– Begleitung auf Ämter und zum Arzt. Oft reicht es nach Aussagen der Zuständigen in der Verwaltung, wenn der Besuch beim Amt begleitet stattfindet: Dann erfährt die Begleitperson, worum es sich handelt und kann diese Informationen an die Heimleitung weitergeben. Auch werden Flüchtlinge, die von Deutschen begleitet werden, oft wesentlich positiver seitens der Ämter behandelt. Dass Verfahren verschleppt werden, weil die betroffene Person keine Ahnung hat, was von ihr erwartet wird, passiert so deutlich weniger.

– Deutschkurse dort, wo noch keine offiziellen angeboten werden oder zu wenig Plätze vorhanden sind. Wenn der offizielle Deutschkurs zwei Stunden pro Woche stattfindet, ist ebenfalls ehrenamtliche Hilfe nötig, damit es vorwärts geht.

– Sportliche Angebote, um nahe der engen Unterkünften (aber nicht darin) Druck abbauen zu können. Jogging, Fußball, Angebote in einer Sporthalle, die vom entsprechenden Verein zu bestimmten Zeiten zur Verfügung gestellt wird: Vieles ist ohne Mittel und mit wenig Aufwand möglich. Gezielte Angebote nur für Frauen sind eine Möglichkeit, dass sich nicht nur Männer dabei beteiligen.

 

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So sehr wir Deutschen eine umfangreiche Ausstattung lieben:
Es geht auch ohne.

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Stilvolle Unterhaltung

Wer mich gut kennt, weiß, dass ich ein Laster habe: Ich liebe Gutshöfe, ausgedehnte Parks, altes Leinen und Silberbesteck sowie Reportagen rund um das Thema „Adel“. So muss ich umgehend mitteilen, dass ich in der Mediathek des WDR gerade die (fast aktuellen) Sendungen zur dritten Runde „Von und zu lecker“ entdeckt habe.

 

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Wieder laden sechs Besitzerinnen von Landgütern zum Menü ein, reihum besuchen sich die Damen gegenseitig. Es wird sowohl das Gut und die dort wohnende Familie als auch das Dinner vorgestellt. Diese Sendungen sind wunderschön anzusehen, weshalb ich sie Gleichgesinnten wärmstens empfehle:

Von und zu lecker– wie immer nur zeitlich begrenzt in der Mediathek abrufbar.

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Wofür das Herz schlägt

Vor einigen Wochen habe ich während der ehrenamtlichen Renovierung eines Freizeitheims drei junge Flüchtlinge aus Eritrea kennengelernt. Mich beschäftigt das Flüchtlingsthema in Wellen – meist dann, wenn ich damit unmittelbar zu tun habe. Neben all den anderen fürchterlichen Geschehnissen auf dieser Welt (verhungernde Kinder, weibliche Beschneidung, Sexsklavinnen, Ehrenmorde und getötete indische Säuglingsmädchen) ist die Flüchtlingsproblematik in meinen Augen eine der größten Tragödien der Gegenwart.
Umso wichtiger ist es mir, den Flüchtlingen in meiner Umgebung zumindest für den Moment der Begegnung Respekt und Gastfreundschaft zu erweisen. So organisierte ich spontan einen afrikanischen Liederabend, in der Hoffnung, dass die drei den Mut finden, uns Lieder aus ihrer Heimat beizubringen – meine drei Lieder auf lingala, swahili und zulu waren nämlich alles an Repertoire, das ich auswendig weitergeben konnte. Leider waren die anwesenden KonfirmandInnen begeisterter als die Eritreer, aber einen Versuch war es wert… Einer der drei zeigte uns daraufhin ein sehr langes Lied über das Leben Jesu auf seinem Mobiltelefon auf tigrinya, immerhin.
Mit einem von ihnen unterhielt ich mich viel während der Arbeiten auf dem Gelände über das Leben in Deutschland. Langsam und mit minimalem Wortschatz, damit wir uns verständigen konnten. Besonders die Frage nach einem eigenen Auto beschäftigte ihn sehr… Alle drei lud ich ein, abends in der begrenzten Freizeit zwischen zwei Gebetszeiten mit mir am nahegelegenen See spazieren zu gehen – den hätten sie sonst nie entdeckt. Sie bewunderten den (noch kahlen) deutschen Wald und bedauerten jedes Opfer des letzten Sturms einzeln. Während dessen versuchte ich ihnen zu erklären, welche Beeren an welchen Büschen wachsen und wann – die klimatische Variante von vier Jahreszeiten blieb bis zum Schluss unerklärlich. Ebenso die Höhe einer durchschnittlichen Monatsmiete in Hamburg, was ebenfalls eine Frage während unserer Unterhaltung war.
Trotz der wahrscheinlich traumatischen Erlebnisse während der Flucht wirkten die drei sehr treuherzig. Sie bedankten sich für alles, schlugen tapfer jedes der fremden Lieder in dem ihnen unbekannten Liederbuch auf und verfolgten täglich aufmerksam jede der vier ihnen unverständlichen Gebetszeiten.
Die Begeisterung des Jüngsten, im Gartenteam eine elektrische Heckenschere ausprobieren und mit Ohrschützern in der Nähe des Schredders helfen zu dürfen, war unglaublich. Wenn ich verschwitzt über das Gelände stiefelte, um etwas zu trinken und an eine kurze Pause zu denken, sagte er stets: „Mude? Ich nicht mude (müde)!“ -und lud mich ein, in der Schubkarre sitzend zurück zum Mulchberg zu fahren, um dort Nachschub zu holen (Da mein Körper zu sehr schmerzte, um in einer rumpeligen Schubkarre fahren zu wollen, wurde daraus nichts…).

Zurück zu Hause habe ich noch oft an sie gedacht und enthusiastisch von ihrem Leben erzählt – einfach, weil es so unglaublich ist, was in anderen Teilen der Erde vor sich geht und (gefühlt) niemand hier in Deutschland weiß. Und genauso, unter welchen Bedingungen Flüchtlinge in unserer Nähe leben. Hätte mir eine Freundin von Flüchtlingen aus Weiß-der-Geier-wo und den dortigen Lebensumständen erzählt, wäre es mir wohl ebenso egal gewesen wie es meinen Freundinnen (weitestgehend) egal war. Während ich am vergangenen Sonntag mit einem jungen Mann aus Eritrea mitgefiebert habe, der beim Hamburg Marathon gegen einen Kenianer verlor, wurde mir deutlich, dass letztlich alles von der Begegnung abhängt:
Menschen weisen so lange andere Menschen ab und verweigern ihre Hilfe, bis sie mit einander ins Gespräch kommen. Und sei es mit Händen und Füßen. Auf Augenhöhe.
Hätte ich diese drei Eritreer nicht getroffen, wäre mit das Schicksal der verfolgten Christen sowie der Hunger vor Ort ebenfalls gleichgültig gewesen. Auch so konnte ich nicht viel tun – außer das Gespräch suchen, zum gemeinsamen Spiel am Abend einladen und im Nachhinein eine Mail mit Ideen zum Deutschlernen an den Herrn schicken, der ihnen ehrenamtlich deutsch beibringt.

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Buchempfehlung: „DAS GROSSE LOS“ von Meike Winnemuth

Mangroven

„Aber ich schweife ab. Was ich eigentlich erzählen wollte, weil es mir hier wieder in den Sinn gekommen ist: die Paradies-Übung. Dies war Teil einer Session, die eine Psychologin auf der Basis von Barbara Shers Buch „Wishcraft“ mit mir für den Artikel gemacht hat.
>Was würden Sie tun, wenn alles, absolut alles möglich wäre, ohne Rücksicht auf Zeit, Raum, Geld oder Logik? Wie würden Sie leben? Was würden Sie den ganzen Tag tun?<
Ich musste mir in allen Einzelheiten meinen perfekten paradiesischen Tag ausmalen. Mach das mal, das bringt unglaublich viel Spaß! Meiner ging, stark verkürzt, so:
(…)
>Sehr nett,< sagte die Psychologin. >Und wie sieht der Tag danach aus?<
Und wie, fragte sie weiter, die ganze Woche, der Monat, das Jahr? Das Spannende war: Je länger der Zeitraum wurde, desto realistischer wurden meine Spinnereien. Immer noch weit genug entfernt von meinem Leben, aber gleichzeitig auch eine Essenz treffend von dem, was ich liebe: Freiheit, das gemeinsame Nachdenken mit anderen, das Neue, das Querverbinden. An einem gewissen Punkt habe ich gesagt: Ich will eigentlich gar nichts Bestimmtes, vergessen Sie Clooney und Rickman. Aber ich will, dass mir etwas passiert. Ich will, dass mich das Leben überrascht.
>Dafür könne Sie was tun,< sagte die Psychologin.
Und das ist wahr.“

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Die Journalistin Meike Winnemuth gewinnt bei  „Wer wird Millonär?“ mit Günther Jauch 500 000 Euro. Von diesem Geld möchte sie ein Jahr lang jeden Monat in einer anderen Stadt verbringen, mitten unter Ortsansässigen, und damit jeden Monat in einen anderen Alltag schlüpfen. Um jeweils für eine Etappe ihres Wegs in einer anderen Kultur eine neue Version ihrer selbst zu erleben.

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„Völlig gerührt saß ich hinterher in der Sonne vor dem Museumscafé, dachte über die Vogels nach und über Doris Duke. Die eine wie die anderen haben nichts anderes getan, als ihrer Intuition zu folgen. Etwas Fremdes, Aufregendes, unerklärlich Schönes hat zu ihnen gesprochen, und sie haben ganz einfach hingehört. Und sich anstecken lassen.
Genau so geht das richtige Leben, dachte ich: Finde heraus, was du liebst, und mach es dann. Das sagt sich so leicht und lebt sich so schwer, aber hier, in Hawaii, an diesem Tag, schien es plötzlich wahnsinnig einfach.“

„Man darf sein Leben nicht damit verschwenden, Erwartungen zu erfüllen. Nicht einmal die eigenen. Es ist erstaunlich, wie wenig man wirklich muss, wenn man mal ernsthaft darüber nachdenkt.
Man hat jederzeit das Recht, die Regeln, die man sich selbst aufgestellt hat, zu ändern.“

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In einem Brief aus Kopenhagen an ihr jüngeres Ich:
„Aber ich will Dich nicht verwirren. Ich erzähle Dir das nur, um mir selbst etwas bewusst zu machen: In Deinem Alter hatte ich keine Ahnung, wie die Welt in meinem Alter aussehen würde. Wenn ich mir überlege, was sich in den letzten 35 Jahren alles verändert hat, wird mir klar: Ich habe nicht den leisesten Schimmer, was in den nächsten 35 Jahren passieren wird. Ich weiß nur: Ich will dabei sein. Mit jedem Tag mehr auf dieser Erde finde ich sie sensationeller, überwältigender, unglaublicher.
Ich schreibe Dir diesen Brief von einer Weltreise. Dass ich sie mache, habe ich nicht geplant. Ich habe nicht darauf hingearbeitet, es hat sich so ergeben.Wie sich auch alle anderen wichtigen Ereignisse in meinem Leben irgendwie ergeben haben. Und deshalb möchte ich Dir eines zu Deiner Beruhigung sagen: Du musst Dir nicht die geringsten Gedanken um die Zukunft machen, die kommt von allein. Du machst das alles ganz richtig so, auch wenn Du nicht weißt, was das alles soll. Und ob es einen Sinn hat. Das mit dem Sinn kommt auch von allein. Ich bin vorhin am Assistens-Friedhof vorbeigeradelt, am Grab des Philosiophen Søren Kirkegaard. Der hat zu diesem Thema alles gesagt, was man wissen muss:
>Das Leben wird vorwärts gelebt und rückwärts verstanden.<“

Packender, humorvoller Reisebericht und philosophische Einladung an das Leben zugleich:
„DAS GROSSE LOS“ von Meike Winnemuth, btb-Verlag

 

Die Fotos stammen von unserem Ausflug in die Mangroven auf Zanzibar, Tanzania.
Wer das passende Lied sucht: „Toes“ von der Zac Brown Band

aufmerksam

Preußisch Blau

Wer stilvolle Unterhaltung und lebendige Geschichten aus einer anderen Zeit mag, findet vier schöne Reportagen zum Thema „Gutshöfe in Preußen – damals und heute“ unter folgendem Link:

Ard.Mediathek

Während dessen nehme ich Pullover auseinander und nähe sie anschließend „optisch aufgefrischt“ wieder zusammen, so macht die öde Tätigkeit des Auftrennens und mit-der Hand-Nähens angesichts des vor mir Flimmernden Spaß und ich komme gut voran.

 

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Gut Tremsbüttel nahe Bargteheide
(Seltsam, wie irritierend so eine baumelnde Deutschlandflagge wirkt und negative Gedanken evoziert).

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Niveauvolle Unterhaltung mit Rezept-Ideen

Wie bereits beschrieben, saß ich in der Zeit zwischen den Feiertagen öfter auf dem Sofa vor dem Fernseher, was ich sonst nie tue. Aber manchmal ist der Kontrast zum Alltag in den Ferien dadurch besonders spürbar, dass plötzlich Zeit für all die Dinge bleibt, die sonst ausgespart werden. So ließ ich mich vom Fernsehprogramm verführen, während ich per Hand nähte und Fleißarbeit vollbrachte.
Neben dem launigen Büttenwarder entdeckte ich im NDR die Wiederholung einer Sendereihe namens „Von und zu lecker“. Dabei handelt es sich, kurz gesagt, um eine Abwandlung des „Perfekten Dinners“ – in diesem Fall mit Niveau und Lerneffekt und ohne den unsympathischen Sprecher:
Sechs adelige Landfrauen laden sich gegenseitig ein und kochen jeweils ein regionales, saisonales Menü. Während dessen führen die jeweiligen Männer (oder ein anderes Familienmitglied) über den Hof und teilweise durch das angrenzende Dorf, um allerhand Wissenswertes zu Architektur und Historie zu erzählen.
Herrlich: Alle sind gebildet, gut gekleidet, freundlich und herzlich. Sie haben Geschmack, geben sich Mühe mit der Auswahl von Nahrungsmittel, Zubereitungsart und Tischdekoration und sind dabei bodenständig geblieben. Alle Gerichte werden gelobt, die Gastgeberin wird durchweg positiv in ihrem Auftreten bewertet, nur der Kommentar „Das Fleisch war meiner Empfindung nach etwas trocken“ fällt mehrfach.
Im Übrigen: Harmonie und Ästhetik aller Orten. So mag ich das.

Unter dem oben farbig abgesetzten Namenszug ist die entsprechende Seite der NDR-Mediathek zu finden, unter der die Videos abrufbar sind.
Viel Freude damit und gute Unterhaltung!

 

 

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