aufmerksam, glaubhaft

Was ich während der Gemeindefreizeit auf Römö lernte

Gott sorgt für uns
– Anfahrt zum Resort: Das Navi wollte nicht mehr, wir fuhren direkt hinter dem Damm am Beginn der Insel an den Straßenrand. Sven*, ein etwas verpeilter Mann aus der Gemeinde, erkannte versehentlich unser Auto, drehte um, fuhr zu uns ran und fragte, wie er uns helfen kann. Wir sollten einfach hinter ihm her fahren. (* Name geändert)
– Mittags zwischen zwei Veranstaltungen, ich hatte Hunger und keine Zeit zum Kochen: Unsere Nachbarin brachte einen Rest selbstgemachte Pizza und eine Schale Gulasch vorbei.
– Wir wollten reiten, es goss heftig und hagelte. Nach 20 Minuten warten und Gebet, pünktlich zum Start des Ausritts, kam die Sonne raus. Und blieb. Bis wir 2,5 Stunden später auf den Pferden zurück auf die Koppel kamen, dann rasten die Wolken heran und es schüttete wie aus Kübeln.
– In Ribe diskutierten wir in einem Café den Weg zur Insel Mandø. Ein Mann am Nachbartisch merkte, dass wir nicht vorwärts kamen und ohne Gezeitentabelle eh keine Entscheidung treffen konnten. Also sprach er uns an, zeigte die Gezeitentabelle auf seinem Handy und erklärte uns die beste Überfahrt. Wie fuhren dann letztlich doch nicht durch´s Watt auf die Insel, aber wir hätten alle notwendigen Infos gehabt.

Wir haben fantastische Talente und Profis in der Kirche
Das Vorurteil Christen gegenüber ist oft, dass die, die an Gott glauben, es nötig haben:
Der öffentlichen Meinung zufolge ist Kirche voller Schnachnasen, Softies und Verlierer.
In meinem Leben gehörte ich bisher zu vier Kirchen, inklusive der aktuellen. Nicht immer war ich Mitglied, eine besuchte ich auch nur ein Jahr lang im Rahmen meines Freiwilligen Sozialen Jahrs. Dass Gemeinde das Sammelbecken für chronisch Kranke, Übersensible und Ewiggestrige ist, fand ich noch nie.
Dass Gemeinde voller Talente steckt und von leidenschaftlichen Profis überquillt, erlebte ich während der Woche auf Römö ganz intensiv:
Wir haben IllustratorInnen, ChefredakteurInnen, Hamburger MeisterInnen, Agenturleiter, Kommandoführer, AutorInnen, ChefärztInnen und ProfimusikerInnen in einem Raum. Dazu jede Menge talentierte Jugendliche und ältere Semester, die zwar keine glänzenden Titel am Revers tragen, aber mich einfach mal knuddeln und küssen. Ist auch eine Menge wert, so ein Chefkoch oder Art Director hält ja nicht unbedingt die Seele warm… 😉

Großzügig sein ist eine Gabe und Aufgabe
… die wir ganz schön verkackt versäumt haben. Damit, das Essen von Nachbarn aus den umliegenden Ferienhäusern anzunehmen, hatten meine Freundin und ich kein Problem. Damit, andere einzuladen oder zu gemütlichen Treffen eine Schachtel Pralinen beizutragen, auch nicht. Aber aus heiterem Himmel mal kurz das frische gekaufte Brot halbieren und abgeben, das war uns nicht möglich. Wir fanden es in dem Moment beide selbst peinlich, aber konnten nicht über unseren Schatten springen. Unsere Nachbarin zog weiter, und wir saßen am Tag darauf zu dritt beim Frühstück statt zu fünft. Das halbe Brot hätte also mehr als gereicht, wir hätten es problemlos abgeben können.
Und selbst, wenn unser Brot knapp geworden wäre, hätten unsere Gäste mehr als genug mitgebracht.
Kurz: Es gab keinen Grund, knauserig zu sein, Gott hätte uns so oder so versorgt.
In diesem Fall hatten wir einen akuten Brotüberfluss. Echt peinlich.

Die nächsten Tage sagte meine Mitbewohnerin dementsprechend ständig: „Und wieder hat Gott aus wenig viel gemacht“, weil dauernd Essen über war, oder wir auf andere Weise versorgt wurden.

Die nettesten Begegnungen gibt´s im Whirlpool
Ein viel zitiertes Gerücht meiner (sehr großen) Gemeinde besagt, dass eine Woche Gemeindefreizeit so viele Erlebnisse und Begegnungen schafft wie drei Jahre zum-Gottesdienst-kommen. Das kann ich nur teilweise bestätigen, aber ich habe ja auch nicht das komplette Programm von Workout über Whisky Tasting bis Running Dinner mitgemacht. Eine kleine Auszeit mit einem Roman auf der Sonnenterrasse muss auch mal sein, finde ich. Oder ein Spaziergang allein auf dem Deich.
Sollte die Lust nach Gemeinschaft unstillbar erscheinen, reicht es, sich in einen Whirlpool zu setzen und abzuwarten, wer dazu kommt. Oder in einen bereits besetzten Whirlpool dazu zu steigen. Natürlich ergeben sich jetzt nicht sofort tiefe Freundschaften zu bisher Fremden, nur weil man weitgehend nackt im Sprudelbecken sitzt. Aber es hilft, um lose Kontakte zu knüpfen oder erstmal mit Small Talk einzusteigen. Und manchmal kommen beim offenen Café-Haus, die reihum von verschiedenen Familien im eigenen Ferienhaus veranstaltet werden, plötzlich Leute auf mich zu und sagen: „Dich kenne ich schon lange vom Sehen, wer bist du eigentlich?“
Muss man gar nicht unbedingt nackt für sein…

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Warum die Kirchen aussterben

Dom in Turku, Finnland

In Deutschland sterben die Kirchen langsam, aber unaufhaltsam aus, weil ihnen die Mitglieder weglaufen. Obwohl ich gläubig bin, denke ich oft: Selbst schuld.
In vielen Kirchen wird eine Sondersprache gesprochen, die sich keinem normalen Menschen erschließt. Wer möchte, das die Botschaft ankommt, sollte sie verständlich formulieren. Und wer möchte, dass Interessierte kommen, sollte so einladen, dass sich möglichst viele angesprochen fühlen. Wenn ich in einem fremden Gottesdienst bin, habe ich selten Lust, irgendwelchen öden, verschwurbelten oder geheimnisvollen Einladungen zu folgen. Oft habe ich den Eindruck, dass Einladungen zum Kirchenkaffee oder Gebetstreffen oder Grillabend so unsexy wie möglich als reine Pflicht herunter gespult werden, weil niemand möchte, dass wirklich fremde Gesichter auftauchen. Alle jammern, weil die Alten wegsterben und die Jungen weglaufen. Aber dass jemand Neues in die verschworene Gemeinschaft eindringt? Bloß nicht! Lieber machen wir in zehn bis zwanzig Jahren die Kirche dicht!
In meiner neuen Gemeinde stellt sich jeden Sonntag der Pastor vor und die Person, die moderiert, ebenfalls. Vor jedem Abendmahl wird erklärt, was jetzt warum passiert und dass alle mitmachen können, die eine Beziehung zu Gott haben. Wer jeden Sonntag dabei ist, findet früher oder später, dass diese tägliche Vorstellung oder die diversen Erklärungen doch mal weglassen werden könnten. Wer so denkt übersieht, dass sie selbst vor einiger Zeit neu und dankbar über genau diese Informationen waren. Wenn wir wollen, dass Gäste kommen und sich langfristig wohlfühlen, müssen wir ihnen einen Grund dazu geben. Wenn ihre Bedürfnisse nicht erfüllt werden und sie sich weder wertgeschätzt noch ernstgenommen fühlen, werden sie nie wiederkommen. Und je weniger Gäste kommen, desto weniger Gäste folgen ihnen.

Keiner da? Krippe in der Mikealskirke, Turku, Südfinnland

Auf der anderen Seite brauchen Kirchen ein klares Profil. Wenn die Pastorin eine Mischung aus dem Parteiprogramm der Grünen mit Sprüchen aus dem Yogakurs vermengt und als Predigt präsentiert, fehlt etwas. Das Alleinstellungsmerkmal, das ChristInnen haben: Dass Gott uns so sehr liebt, dass er seinen Sohn Jesus als Wiedergutmachung für die Scheiße in unserem Leben hat sterben lassen. Und dass Jesus auferstanden ist, weil seine Macht größer als der Tod ist. Dass Jesus mit jedem Menschen befreundet sein und uns im Alltag helfen will. Dass er uns von allem befreit, was unsere Herzen und Körper gefangen hält. Dass er unser Leben so viel spannender, friedlicher und kraftvoller machen möchte, als wir uns das jemals hätten ausdenken können. Und dass nach diesem Leben die Ewigkeit auf uns wartet: Harmonie, Freude, Genuss und Party in unvorstellbarem Ausmaß erwarten uns dort.
Das ist eine fantastische Botschaft, die es wert ist, dass möglichst viele sie hören und zu einem erfüllten Leben finden.
Warum verstecken wir die Power von Gottes Wort hinter altmodischen Ritualen und unverständlichen Worten? Warum lassen wir lieber Leute draußen stehen, als uns für sie und ihre Lebensgeschichte zu öffnen?

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Auf der Suche nach einer neuen Kirche: Zwischenstand

Im Januar berichtete ich, dass ich nach zwölf Jahren in der gleichen Kirche eine neue Heimat suche. In meiner Generation sind alle primär mit ihren Kindern beschäftigt und nur wenige Kontakte haben die Kluft zwischen sechsköpfigen Haushalten auf der einen Seite und Double-Income-No-Kids auf unserer Seite überlebt. Wenn im Anschluss an den Gottesdienst nur noch fünf Minuten oberflächlicher Small Talk stattfindet, empfinde ich das als sehr schade. Auch das Interesse am Gottesdienst selbst hatte sich abgenutzt: Nach Jahren voller Choräle mit der Orgel und klassischer Kirchenchöre brauchte ich dringend Abwechslung. Dennoch ist es ein großer Schritt, aus einer Kirche, wo ich alle kenne, hinein in eine Gemeinde, wo ich niemanden kenne, zu wagen. Zum Glück fand ich gleich in der ersten Gemeinde einen Gebetskreis, der sich direkt um die Ecke im Nachbarstadtteil trifft. Mit einem straffen Ablauf von gemeinsamem Singen, Lesen in der Bibel und gemeinsamem Gebet. Nachdem mein ursprünglicher Gebetskreis sich immer selten traf und immer weniger Fokus hatte, genieße ich die zuverlässigen wöchentlichen Treffen sehr.

Die Gemeinde, die ich jetzt besuche, besteht vorrangig aus Menschen im Alter zwischen zwanzig und Mitte vierzig. Alles läuft über einen Beamer und die Musik der Band ist so laut, dass ich mich morgens um zehn Uhr erstmal mit Ohrstöpseln ausstatte. Getragene Choräle aus dem Mittelalter werden abgelöst durch christlichen Rock und Pop bei gefühlt 120 Dezibel: Das nenne ich einen Kontrast! Ganz so heftig hätte es nicht sein müssen, ich bin gern für eine ausgewogene Mischung zu haben. Früher hatte ich Tränen in den Augen, wenn es endlich ein Lied gab, das jünger war als ich. Jetzt habe ich Tränen in den Augen, wenn ein Lied die Erfahrung früherer Generationen in sich trägt. Keine Kirche ist perfekt, in jeder finden wir etwas, das uns anspricht, und etwas, das wir verzichtbar finden. So auch hier…
Was mich wirklich mitreißt ist der greifbare und authentische Glaube aller, mit denen ich in Kontakt komme. Hier erlebe ich lauter Menschen, die mit Gott im Alltag unterwegs sind. Die berichten, wo Gott ihnen geholfen hat, und ihn beim Wort nehmen. Die sich darauf verlassen, dass Gott ihre Gebete erhört, statt es lediglich zu erhoffen. Die sich gegenseitig ermutigen und herausfordern. Die frei und ehrlich über ihren Glauben sprechen und SkeptikerInnen einladen.
Nach jedem Gottesdienst stehen Menschen zum Gebet bereit. Wer zu ihnen geht und die eigene Lage schildert, erfährt Unterstützung im Gebet: Für die kranke Oma, angespannte Situationen im Beruf, gekündigte Wohnungen, die Autoreparatur trotz Geldmangel, was auch immer. Auf diese Weise bin ich meine qälenden Migräneattacken erfolgreich losgeworden. Und trauen sie sich doch noch einmal, mich lahmzulegen, hilft eine gemeinsame Runde Gebet. Gott wirkt, das wird hier sehr deutlich.

Gleichzeitig genieße ich es sehr, fast niemanden zu kennen und damit anonym zu bleiben. Niemand möchte mich für Kinderstunden, den Seniorenkreis oder die Geburtstagspost verpflichten. Niemand kennt meine Interessen und Begabungen, sodass ich mich an einem ausgedehnten Urlaub vom Ehrenamt erfreue. Nach zwölf Jahren war das dringend nötig… Meine monatliche Spende erhält momentan keine Kirche, sondern „terre des femmes“, eine Menschenrechtsorganisation für Frauen weltweit. Bis ich erneut Mitglied werde und mich im Ehrenamt einbringe, beglückt mich mein „Sabbatical“. Gleichzeitig erlebe ich im Hauskreis Gemeinschaft und Feedback im Gespräch, sodass ich nicht in den Weiten der modernen Großstadt-Gemeinde untergehe. Der ideale Mittelweg für mich momentan.