aufmerksam, kreativ

Kreatives Schreiben mit Senioren: Vom Waldweg ins Stundenhotel

Alles, was ich in der Residenz gerne tue, ist durch Corona verboten:
Kurse leiten, Vorträge halten, SeniorInnen knuddeln sind die ersten Punkte, die mir einfallen und am meisten fehlen.
Immerhin treffen wir uns inzwischen mit einer Handvoll Damen und Herren für kleine Gruppenangebote auf der Terrasse, so es das Wetter zulässt.
Diese Woche hatte ich ein Experiment vor:
Ich lud zum „Kreativen Schreiben“ ein. Die Anmeldezahlen trudelten nur seeehr spärlich ein, sodass ich davon ausging, dass der Kurs wohl nicht zustande käme. Tatsächlich ergab sich kurzfristig eine wesentlich größere Runde, natürlich schön auf Abstand, und wir hatten gemeinsam den Spaß unseres Lebens!

Vorab hatte ich Klemmbretter mit Blankopapier, einem Deckblatt mit Regeln zum Kreativen Schreiben und Kugelschreibern ausgestattet. Zum Glück hatte ich gleich ein paar Exemplare mehr vorbereitet, und selbst die reichten bei weitem nicht.
Da die SeniorInnen große Bedenken hatten, dass sie nicht wissen, was sie schreiben sollen, und ihnen nichts einfällt, und das eine alberne Veranstaltung ist, und alle über die eigenen Ideen lachen und komisch gucken und das ganz schrecklich peinlich wird, und sie sicherheitshalber lieber im Appartement bleiben, hatte ich Regeln für den Kurs und das Schreiben allgemein aufgestellt: Die meisten alten Menschen lieben Regeln und empfinden dadurch eine gewisse Sicherheit.

Regeln zum kreativen Schreiben

* Lassen Sie alle Hemmungen fallen.

* Schalten Sie den Kopf aus und lassen Sie den Stift auf dem Papier tun, was er tun möchte. Auch Kritzeleien und Schimpfwörter – wer weiß, was daraus entsteht?!

* Produzieren Sie ruhig diverse Fehlversuche.
Lieber Papier zerknüllen und im hohen Bogen wegwerfen, als in die Luft starren und Ladehemmungen entwickeln!

* Verlassen Sie gedanklich das Hier und Heute.
Denken Sie sich an einen anderen Ort, in eine andere Zeit, werden Sie wieder jung oder stellen Sie sich eine neue Identität vor.
So schauen Sie mit wachen Augen und einem ganz anderen Blick auf die Welt, was zu frischen Gedanken führt!

* Seien Sie wohlwollend mit Ihren Versuchen.
Es sind Ihre Babies, und Neugeborene sehen immer etwas verschrumpelt und hässlich aus. Legen Sie das Papier eine Weile beiseite und schauen Sie morgen oder übermorgen nach etwas Abstand aus einem anderen Blickwinkel darauf.
So werden aus Schiete manchmal Schätze!

* Wenden Sie absichtlich alberne Regeln an.
Wenn Sie sich innerlich blockiert fühlen und Ihnen nichts Sinnvolles einfällt:
Schreiben Sie absichtlich einen richtig, richtig schlechten Text.
Ein richtig mistiges kleines Gedicht.
Und danach erleben Sie, wie sich Blockaden auf einmal lösen!

Mein permanentes Mantra während der Stunde war „Wir enthemmen uns!“, was gleich bei meiner Einleitung die Frage provozierte: „Sollen wir dabei die Kleidung ablegen?“ Nö, das tun Sie, wenn das Kurbad eines Tages wieder geöffnet hat…
Zu Beginn leitete ich verschiedene assoziative Übungen an, um das analytische Denken der Westeuropäer möglichst schnell zu verlassen und in einen unzensierten Gedankenstrom zu kommen. So brachte ich den SeniorInnen unter anderem an der Flipchart bei, wie ein Cluster entsteht. Ich bat um „Irgendein Wort, egal welches, bloß ein einziges Wort“ und Frau Dethlefsen* schlug „Wald“ vor. Schnell kamen wir auf „Waldweg, Waldvögel, Waldmeister, Waldfriedhof, Waldmaus“ und von dort aus landeten wir in wenigen Schritten über „Waldgeist – Geisterstunde – Stundenhotel – Sex – Preis – Förster – Uniform“ in gaaanz anderen Gefilden. Dabei hatten wir die „Waldmeisterbowle“ mit „Tanz“ und „Kuss“ aus einem anderen Strang noch gar nicht konsumiert…

Entsprechend aufgewärmt folgte eine „Knopf-Geschichte“, dazu durften sich alle aus einer Schachtel einen Knopf aussuchen und sollten dann einen Text schreiben:
Zu welchem Kleidungsstück gehört der Knopf? Wer hat es getragen? Wie lebt diese Person? Wie fühlt sie sich? Was erlebt sie heute?
Und obwohl ich schon in der Kursankündigung geschrieben hatte, dass niemand etwas vorlesen muss, gab es einige Damen, die ihre Knopf-Geschichte sehr stolz den anderen Anwesenden vortrugen. Und der Inhalt war tatsächlich ungewohnt enthemmt, das kann ich bescheinigen!
Die Damen brachen mit leuchtenden Augen auf und fragten, ob es gleich nächste Woche weiterginge. Angesichts der schleppenden Anmeldungen hatte ich den Folgetermin im August-Programm bereits gecancelt, versprach aber, dass ich selbstverständlich im nächsten „Hauskurier“ weitere Treffen ankündigen würde.

Kurz darauf fragte mich die Pflegedienstleitung, als wir uns am Kopierer trafen, was ich denn „mit denen angestellt habe, die waren ja so selig“, diesen Kurs würde er auch gern mal besuchen!

*Namen wie immer geändert

aufmerksam, kreativ

Gedächtnis-Training einmal anders: Hab` ne Tante aus Marokko und die kommt, hipphopp!

 

Heute hatte ich für das „Musikalische Quiz“ im Haus eine wunderbare Idee:
Als Ersatz für die Sommerurlaube früherer Zeiten wollte ich alte Schlager mit jeder Menge „Amour“ und „Signorina“ anspielen und von den SeniorInnen erraten lassen. Außerdem hatte ich ein Quiz über diverse (mehr oder weniger bekannte) Nationalgerichte europäischer Länder zur Hand und eine Akkordeon spielende Dame inklusive ihres Repertoires an der Seite.
Nun ja, die hervorragenden Schlager der Fünfziger waren leider nicht bekannt, weder Teil Eins noch Teil Zwei der Doppel-CD. Ich spielte ein Lied nach dem anderen an, aber meistens erntete ich nur Schulterzucken. Dabei wählte ich extra Lieder von Damen wie Caterina Valente. Keine Reaktion. Ich war kurz davor, mich zu beschweren, dass mir die SeniorInnen doch überhaupt erst erklärt hatten, wer Caterina Valente war, aber ich hielt den Mund und ließ die Dame am Akkordeon „In München steht ein Hofbräuhaus“ spielen. War zwar kein sommerliches Lied aus dem Urlaub, aber die Stimmung stieg. Na denn.

Am Ende der Stunde, als ich dachte, ich hätte mich für heute genug blamiert, als dass eine weitere Schnapsidee schaden könnte, fragte ich nach „der Tante aus Marokko“. War natürlich nicht bekannt, aber wider Erwarten schaute ich in viele interessierte Gesichter und sogar leuchtende Augen, als ich einfach loslegte.
Sobald ich wieder mit dem „Gedächtnis-Training“ an der Reihe bin, werde ich zwischen diversen schwierigen Aufgaben eine Runde „Hab ´ne Tante aus Marokko und die kommt, hipp-hopp!“ singen. Denn das Lied bringt in jeder Strophe eine Bewegung mit sich, die sich im Verlauf summieren: Zu der neuen Bewegung der aktuellen Strophe müssen jeweils alle Bewegungen (und deren Geräusche) der vorhergehenden Strophe dargestellt werden. Aus dem Stegreif sang ich eine Kurzversion, die überraschend gut ankam.
Im Nachhinein erzählte mir meine Kollegin, dass sie noch nie so kräftigen, fröhlichen Gesang durch die Wand bis ins Büro gehört hätte. Wunderbar, Stimmung gerettet!

Gedächtnis-Training für mich:
Manchmal ist das Naheliegende nicht so spannend wie das völlig Abwegige.
Auch bei SeniorInnen!

Für alle, die ebenfalls eine Runde Schwung in´s Gedächtnis-Training bringen wollen, egal ob mit Neunzigjährigen oder Zweitklässlern:
Hier sind absolut alle Strophen, die ich finden konnte!

  • /: Hab ne Tante aus Marokko, und die kommt [hipp, hopp], :/
    hab ne Tante aus Marokko, hab ne Tante aus Marokko,
    hab ne Tante aus Marokko, und die kommt.
    Hipp, hopp (Hände zum „Daumen hoch“ formen und über die Schulter zeigen).
    .
  • Und sie kommt auf zwei Kamelen,
    wenn sie kommt [hoppeldihopp] . . .
    Hipp hopp, hoppeldihopp (Wie auf einem Kamel reiten)
    .
  • Und sie schießt mit zwei Pistolen,
    wenn sie kommt (Piffpaff)…
    Hipp hopp, hoppeldihopp, piffpaff (In die Luft schießen)
    .
  • Und dann schlachten wir ein Schwein,
    wenn sie kommt [krks, krks] . . .
    Hipp hopp, hoppeldihopp, piffpaff, krks, krks (Hals durchschneiden)
    .
  • Und dann trinken wir ne Flasche,
    wenn sie kommt [gluck-gluck] . . .
    Hipp hopp, hoppeldihopp, piffpaff, krks, krks, gluck gluck (Kopf in den Nacken legen, trinken)
  • Und dann essen wir ne Torte,
    wenn sie kommt [schmatz-schmatz] . . .
    Hipp hopp, hoppeldihopp, piffpaff, krks, krks, gluck gluck, schmatz schmatz (Torte in den Mund stopfen)
    .
  •  Und dann schrubben wir die Bude,
    wenn sie kommt [schrubb-schrubb] . . .
    Hipp hopp, hoppeldihopp, piffpaff, krks, krks, gluck gluck, schmatz schmatz, schrubb-schrubb (Wild scheuern)
    .
  • Und dann kommt ein Telegramm,
    dass sie nicht kommt [weinen: Uhuh] . . .
    Hipp hopp, hoppeldihopp, piffpaff, krks, krks, gluck gluck, schmatz schmatz, schrubb-schrubb, uhuh (Dramatisch weinen)
    .
  • Und dann kommt ein Telegramm,
    dass sie doch kommt [juchhe] . . .
    Hipp hopp, hoppeldihopp, piffpaff, krks, krks, gluck gluck, schmatz schmatz, schrubb-schrubb, uhuh, juchhe (Freudig in die Luft springen)
    .
  • Und dann läuten wir die Glocken,
    wenn sie kommt (ding dong)…
    Hipp hopp, hoppeldihopp, piffpaff, krks, krks, gluck gluck, schmatz schmatz, schrubb-schrubb, uhuh, juchhe, ding dong (Mit dem Kopf wackeln)
    .
  • Und dann singen wir ein Liedchen,
    wenn sie kommt (la la)…
    Hipp hopp, hoppeldihopp, piffpaff, krks, krks, gluck gluck, schmatz schmatz, schrubb-schrubb, uhuh, juchhe, ding dong, la la (Dirigieren)

 

Und dann waschen wir die Hose, wenn sie kommt, plitsch-platsch…