Im Sommerurlaub, als bereits kluge Köpfe eine erneute Explosion der Coronafälle im Herbst und Winter voraussagten, nahm ich mir vor:
Ich werde wie bisher super vorsichtig sein und bis auf meine Berufstätigkeit und meine Kleingruppe weitgehend Kontakte meiden, aber: Dazu brauche ich etwas, das mich zu Hause allein hinter verschlossener Tür bei Laune hält.
Deshalb besann ich mich darauf zurück, dass ich früher gern gebastelt habe. Alle paar Jahre nehme ich mal an einem Workshop teil, und als Gruppenleitung biete ich regelmäßig kreative Nachmittage an, aber ich persönlich bin längst nicht mehr so schöpferisch tätig, wie früher einmal. Mit dem Kopf schon, wenn ich an meine freischaffende Tätigkeit als Autorin denke, aber eben meist nicht mit den Händen.
Also versorgte ich mich an verschiedenen Orten mit jeder Menge Bastelutensilien und verfiel in einen absoluten Marathon, was das Anfertigen von Grußkarten, Gebetsheften, Kalendern und anderen Geschenken aus Papier betrifft.
Die verschiedenen Abteilungen der Verlage, mit denen ich zusammenarbeite, erhielten bunte Pakete voller unterschiedlicher Kreationen als Dank für die gute Zusammenarbeit und reagierten begeistert.
Da die SeniorInnen meine handgefertigten Karten lieben, bot ich sie eines Sonntags an einem Stand an – und war nach 30 Minuten ausverkauft, was große Weinkrämpfe bei denen auslöste, die zu spät kamen. Mein Stand sollte schließlich 90 Minuten geöffnet haben, wer konnte ahnen, dass so schnell nichts mehr übrig war? Also produzierte ich weitere Exemplare nach, und bis weit in den Advent konnte der Esstisch unter der Last der Materialien und Werkzeuge nicht wiederentdeckt, geschweigedenn benutzt werden.
Lange Zeit glaubte ich der Lüge, basteln als Hobby sei peinlich.
Basteln sei etwas für den Kindergarten und die Abteilung demenziell Betroffener, aber niemand würde sich dabei freiwillig erwischen lassen.
Basteln sei uncool, provinziell und von vorgestern.
Doch ich stelle fest: Über die Befriedigung, die es mir selbst schenkt, hinaus freuen sich diejenigen, denen ich eine meiner Karten schicke oder verkaufe, sehr intensiv über die kleinen Kunstwerke.
Und ich selbst werde in kürzester Zeit besser, die Ergebnisse sehen gelungener und immer professioneller aus.
Über die Kleinanzeigen bin ich in den letzten Tagen in einen wahren Kaufrausch geraten, den ich mir gönne, weil ich im vergangenen Jahr so ausdauernd und hart wie noch nie zuvor gearbeitet habe und keine Zeit zum Ausspannen, geschweigedenn zum Geldausgeben hatte.
So nehme ich Frauen in ganz Deutschland ihr überflüssiges Hobbymaterial ab und freue mich wie Bolle über die Schnäppchen (die sich natürlich doch summieren, aber egal – das gönne ich mir jetzt und sehe es als Beitrag zur psychischen Stabilität trotz Corona).
Welche Leidenschaft ist dir peinlich, welches Interesse versteckst du vor anderen?
Welches Hobby liegt brach, weil du vor einigen (oder sehr vielen) Jahren der Meinung warst, „rausgewachsen zu sein“?
Was würdest du gerne wieder aufleben lassen, wenn dir die Meinung deines Umfelds egal wäre?
Welches neugierige Bedürfnis zum Entdecken eines spannenden Hobbys kannst du dieses Jahr stillen, ohne Rücksicht auf den Eindruck, den andere von dir haben könnten?
Das Urteil deiner Mitmenschen über dich geht dich nichts an.
Die Einschätzung, die andere über dich treffen, ist nicht deine Verantwortung.
Sollen sie doch denken, was sie wollen:
Nimm deine Begeisterung für ein Thema wichtiger als das Feedback entfernter Bekannter. Oder neidischer Familienmitglieder, die hinter ihrem Spott ihren Neid auf dein Talent verstecken.
Du bist es wert, deine Begabungen zu entdecken, wachsen zu lassen und ihnen Raum zum Blühen und Fruchttragen zu geben.
Deine Talente haben ein Lebensrecht – hast du jemals darüber nachgedacht?
Es ist so anstrengend, bedrückend und völlig unnötig, sich für die eigenen Hobbies zu schämen.
Das sage ich dir, weil ich es jahrzehntelang getan habe und es niemandem gut getan hat. Weder mir selbst, weil meine Gaben brach lagen, noch anderen, die davon nicht profitieren konnten.
Dass ich bastle und auf die Meinungen anderer sch****, weil mir meine Freizeitbeschäftigung gut tut und weil sie meinen Mitmenschen Freude schenkt – das ist so viel kraftvoller als die blöde Scham!