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Als ich noch jung war… (…war mein Leben NICHT besser)

Aktuell habe ich privat und beruflich mit mehr Teenagern als sonst zu tun. Dabei stelle ich nicht nur fest, dass sie mich und ihre Umgebung stark beanspruchen, sondern auch, dass sie mir sehr, sehr Leid tun.
Abgesehen von den Zeiten, in denen ich als Jugendliche gemobbt wurde, waren meine Teenagerjahre völlig mittelmäßig: Ich war weitestgehend artig und eifrig, lieferte in der Schule gute Leistungen ab und verhielt mich lediglich der eigenen Familie gegenüber zickig. Wie sehr und wie häufig ich maulig war, kann ich schlecht einschätzen, dennoch war ich im Grunde ein harmloser Teenager.
Unabhängig von den Mobbingphasen erinnere ich mich an unzählige innere und äußere Dramen:
Wer mit wem in der Pause redet oder nicht und wieso. Wer mich gut findet und wer nicht und wieso. Was ich von irgendeinem Jungen halte, ob er mich beachtet, wie er mich behandelt und wieso. Wie ungerecht mich Wer-weiß-wer behandelt hat, was ich davon halte und wieso. Wie ich heute aussehe, was ich morgen an der Nähmaschine zusammen schustere, wen das beeindrucken soll und wieso.
Tausend völlig irrelevante innere emotionale Monologe, die für nichts und wieder nichts sinnvoll waren.
Und dann beobachte ich die heutigen Teenies und Kinder mit vorpubertären Anwandlungen und denke: Was für eine Verschwendung an Lebenszeit und Energie! Auch heute noch kämpfen die Jugendlichen mit tausend tatsächlichen und eingebildeten Problemen, schwanken zwischen Größenwahn und Selbsthass. Und wozu? Ist die Pubertät tatsächlich für die psychische Reifung notwendig oder würde es reichen, wenn der Körper sich veränderte und das Selbstbild sich dem Ganzen geschmeidig anpassen würde? Sind die ganzen Irrungen und Wirrungen, egal wie harmlos sie für gestandene Erwachsene aussahen, prägend und nachhaltig? Ich glaube nicht.
Vor einigen Jahren habe ich all meine Teeny-Tagebücher weggeworfen – was soll ich damit? Mich an albernes, triviales und nachhaltig blödes Elend erinnern? Selbst wenn ich eines Tages dement werden sollte, möchte ich ganz sicher nicht, dass mir eine Pflegerin die Tagebücher vor die Nase hält und sagt: „Schauen Sie mal, Frau Krüerke, dieser pickelige, unsichere Heini damals hat Ihnen schwer zugesetzt, ganz egal, wie cool Sie taten!“? Mit Sicherheit nicht, der Schund gehörte entsorgt, und ich bin heilfroh darüber, dass zumindest (m)ein Teil der Beweise verschwunden ist.

Liebe Jugendlichen, egal wie sehr ihr mich nervt mit euren völlig überflüssigen Dramen:
Ihr tut mir sehr Leid, denn aus welchem Grund auch immer könnt ihr nicht anders. Leider gibt es keine Evolution, die sagt, dieser ganze hormonverseuchte Hampelkram sei sinnlos und ab sofort abzuschaffen. Pubertät ist leider kein rezessives Gen, das langsam ausstirbt. Nein, bis heute quälen Teenager sich und ihre Umwelt damit.
Ich finde wirklich, dass Gott unglaublich viele hervorragende Lebewesen und Pflanzen erschaffen hat, aber den Quatsch mit der Pubertät hätte er anders regeln sollen.

Und ich kann niemanden verstehen, die oder der von früheren Zeiten schwärmt, „als wir noch jung waren“ und alles so wunderbar war. Nee, ehrlich, auch wenn mir heute keiner das Essen zubereitet und ich selbst für meinen Lebensunterhalt sorgen muss: Das ist mir allemal lieber, als fünfzehn zu sein. Ganz, ganz bestimmt.

 

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Petition für eine bessere Vergütung in therapeutischen Berufen

Über eine Kollegin erfuhr ich von der aktuell laufenden Petition zur besseren Vergütung von LogopädInnen, PhysiotherapeutInnen und ErgotherapeutInnen (wobei die Logopädinnen mit Abstand am wenigsten verdienen, laut Aussagen meiner Praxisleiterin).
Nach wie vor hat diese Berufsgruppe keine Lobby und wird seitens der Krankenkassen durch Kürzungen und Streichungen im Rahmen der neuen Heilmittelrichtlinien zunehmend unter Druck gesetzt – jenseits der Öffentlichkeit.

Im Folgenden zitiere ich Inhalte aus der Internetseite der Petition auf change.com

Die Vergütung einer Behandlungseinheit in der physiotherapeutischen, ergotherapeutischen und logopädischen Praxis ist nicht mehr zeitgemäß! Zudem werden viele Leistungen kaum- bis gar nicht vergütet (Berichte an den Arzt, Dokumentationen etc.). Es wird endlich Zeit, dass die Gesetzlichen Krankenkassen die erbrachten Leistungen dieser Berufe besser vergüten, denn sie leisten einen wichtigen und verantwortungsvollen Beitrag in der Gesellschaft!

Warum unterschreiben Sie die Petition?
„Ein beträchtlicher Teil der Leistungen dieser Berufsgruppen sind Prävention, mindestens Sekundärprävention! Die Kosten für eine Behandlung sind äußerst gering im Vergleich zu anderen Maßnahmen und besonders im Vergleich zu dem Verlust an Partizipation und den damit verbunden Kosten. Lebensqualität und Wohlbefinden können besonders durch diese Berufsgruppen besonders verbessert werden. Die Bezahlung und die Gängelung (Minutentakt!) sind eine Zumutung hinsichtlich der Arbeitsbedingungen. Direktzugang zum Patienten ist ebenso wichtig.“
Dr. Konstantin Kowalewsky

„Der derzeitigen Vergütungssituation durch die Gesetzlichen Krankenkassen fehlt jede gesunde Relation. In kaum einem anderen Sektor wird allein soviel Geld für Fortbildungen ausgegeben und trotz einer unglaublichen fachlichen Qualifikation keine bessere Vergütung erzielt. Ich würde gern einmal sehen wie Mitarbeiter einer Krankenkasse mit dem Gehalt leben, dass sie uns Therapeuten zuweisen. Ändert sich nichts an der Situation werden immer mehr Therapeuten nur noch mit Privatpatienten arbeiten und Gesundheit ein Luxus werden, den sich nicht mehr jeder leisten kann.“
Robert Haueisen

„Nach 12 Jahren als engagierte, verantwortungsvolle Physiotherapeutin bin ich von der finanziellen Vergütung und den drauf bezogenen Zukunftsaussichten nur noch frustriert. Ich würde dahin blickend dem Nachwuchs dringend von dieser Berufswahl abraten! Das finde ich extrem bedauerlich, da die Gesellschaft gut geschulte Physiotherapeuten benötigt!“
Christina Büttner

Bitte unterstützt das Anliegen und sichert damit eine zuverlässige therapeutische Versorgung für alle Altersklassen!

http://www.change.org/de/Petitionen/physiotherapeuten-ergotherapeuten-und-logop%C3%A4den-besser-verg%C3%BCten

 

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Fehlende Lobby für TherapeutInnen

Im Rahmen der Protestaktion „Die Logopädie geht baden“ entstand ein Gespräch mit Vertretern der Interessensgemeinschaft „Freie Therapeuten“

therapeutenonline (+o): Was machen die Freien Therapeuten?

Freie Therapeuten: Die Freien Therapeuten sind eine Interessengemeinschaft selbstständiger Heilmittelerbringer. Wir setzen uns ein für die Belange von Logopäden, Physiotherapeuten, Ergotherapeuten und Podologen.

Unsere drei Hauptforderungen: Wir fordern die Abschaffung der Richtgrößen! In Anbetracht der Überschüsse der Krankenkassen in Milliardenhöhe sehen wir die Budgetierung nicht mehr gerechtfertigt.

Wir fordern eine bessere Vergütung! Wir Heilmittelerbringer machen nur rund 3% der Gesamtausgaben im Gesundheitsbereich bundesweit aus. Letzte Daten aus 2012 zeigen, dass wir Logopäden davon alleine nur geschätzte 0,3% ausmachen. Es kann nicht angehen, dass wir dafür bestraft werden und für einen Netto-Lohn von13 Euro die Stunde arbeiten.

Wir fordern eine Vereinfachung der Bürokratie! Durch den Gesetzesgeber unterliegen wir der Prüfpflicht von Verordnungen. Es ist wirklich schwierig, durch diesen Kram noch durchzukommen und ich nenne das ganz bewusst ‚Kram’. Es kostet uns viele Nerven und viel Zeit, welche wir nicht bezahlt bekommen.

Viele unserer Kollegen stehen vor einer echten Existenzbedrohung, egal, ob angestellt oder selbstständig. Heute eine Praxis zu führen bedeutet Luxus. Man muss einen guten finanziellen Background haben, um das überhaupt noch leisten zu können.

+o: Sie beschreiben die Situation als untragbar. Was sollten die betroffenen Therapeuten aus Ihrer Sicht tun, um etwas zu verändern?

Freie Therapeuten: Die Therapeuten sitzen zu viel da und jammern. Wir müssen mutiger sein, mehr auf die Straße gehen, so wie heute zum Beispiel. Aber ganz im Gegenteil: Viele Therapeuten treffen sich in irgendwelchen Foren und jammern über immer dasselbe Thema. Wenn es dann darum geht, mal eine Aktion zu starten, dann kann Keiner.

Dass hier heute über 200 Leute gekommen sind, wundert uns wirklich, aber freut uns natürlich auch total. Aber es muss mehr werden! Wir müssen mehr Mut und Selbstbewusstsein haben und für uns einstehen, so wie das zum Beispiel auch die Hebammen machen.

+o: Wie hat Ihnen die Aktion „Die Logopädie geht baden“ gefallen? Was sagen Sie zu den Statements der Politiker?

Freie Therapeuten: Die Politiker sehen ja immer alles ein und wissen von der schwierigen Situation. Jetzt gilt zu prüfen, ob sie ihren Worten Taten folgen lassen. Horst Seehofer selbst sagt, dass das, was vor den Wahlen gesagt wird, nach den Wahlen nicht mehr gilt. Das wissen wir ja schon seit Jahren. Ich habe beim Zuhören gemerkt, wie mir der Hals schwillt. Das ist natürlich alles Geschwafel. Da passiert gar nichts, wenn wir selbst nicht dran bleiben.

Sehr interessant war ja auch zu sehen, dass keiner der Politiker die Frage beantworten konnte, was eine Logopädin eigentlich macht. Sie sagen uns wie toll wir sind und wie viel Wertschätzung wir verdienen, aber was wir wirklich tun, weiß keiner.

Die Politiker sagen, man müsse über die Budgetierung reden. Darüber muss man gar nicht reden! Die Krankenkassen haben einen Milliardenüberschuss. Warum muss man da noch über Richtgrößen sprechen? Das Geld ist doch da!

Wir Heilmittelerbringer haben ja auch einen volkswirtschaftlichen Wert. Viele unserer Patienten werden durch unsere Arbeit wieder in den Arbeitsprozess gebracht und fallen dem Staat somit nicht mehr zur Last.

Unsere Arbeit muss honoriert werden! Wir können unsere Mitarbeiter bald nicht mehr so bezahlen, dass sie einigermaßen davon leben können und wir sprechen hier nicht von Luxusgehältern. Viele kratzen am Existenzminimum. Da bekommt mancher Fabrikarbeiter, der nie einen Beruf erlernt hat, mehr als ein Therapeut, der sich nach jahrelanger Ausbildung mit Menschen beschäftigt. 1200 Netto für eine 40-Stunden-Woche, das ist eine Zumutung!

+o: Welche Forderungen stellen Sie an die Politiker?

Freie Therapeuten: Ich glaube nicht, dass sich die Politiker Gedanken über uns und unseren Beruf machen. Es geht scheinbar eher darum, den eigenen Hintern zu retten und das eigene Ego aufzublasen.

Das Einzige, das die Politik gemacht hat, ist die Bindung an die Grundlohnsumme. Wir dürfen ja nur nach der Grundlohnsummensteigerung eine Tariferhöhung  bekommen und die ist dann ja auch noch Verhandlungssache.

Der CDU-Politiker hat gesagt, die Tarifverhandlungen finden zwischen Ärzten, Krankenkassen und unseren Verbänden statt. Das stimmt aber nicht! Unsere Verbände haben da nur ein Anhörungs- aber kein Mitbestimmungsrecht! Verhandelt wird das zwischen dem gemeinsamen Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen. Die entscheiden also im Endeffekt darüber, wie unsere Leistungen vergütet werden.

Wir müssen uns eine Lobby erarbeiten, sind aber ja gerade auf einem ganz guten Weg dahin!

+o: Vielen Dank für das interessante Interview!

 

gefunden auf http://therapeutenonline.de/branchennews/berufspolitik/details/artikel/die-logopaedie-geht-baden-die-freien-therapeuten-im-interview-zur-berufspolitischen-lage/

 

Kerstin von Heyden im Gespräch mit Corina Keller, Thomas Etzmuß und Evi Kaiser

aufmerksam

Kindermund: Leid am Esstisch

Szenen aus meinem Alltag als Logopädin:

Ein Kind erzählte mir mit strahlenden Augen von seinem „Leidgericht“. Angesichts des Zusammenhangs gehe ich vom glatten Gegenteil akuten Leidens aus…

Eine Aphasikerin (Schlaganfallpatientin) nannte auf die Frage „Was ist alles im Schwimmbad zu finden?“ unter anderem „die Schwimmärmel“.
Manchmal sind auch erwachsene Patienten niedlich.

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Die Gedanken sind frei

Gestern schaute ich während des Bügelns im NDR die Sendung „Sieben Tage im Seniorenheim“ – gefiel mir ausgesprochen gut.
Was mir dabei auffiel: Die Herrschaften bekamen Besuch von einem Chor, der unter anderem „Die Gedanken sind frei“ sang: Ein Lied, das unter der Naziherrschaft verboten war und in der DDR wahrscheinlich seitens des Staates ähnlich unbeliebt. Alle Senioren in der Reportage sangen das Lied auswendig mit – genauso, wie es die Senioren in „meinem“ Pflegeheim tun, wenn es der dortige Chor singt.
Warum können sie es alle spontan und inbrünstig singen?
Wegen der politischen Ereignisse der letzten sechzig Jahre?
Oder wegen enger Moralvorstellungen, gegen die zu rebellieren lange nicht möglich war, sodass nur die innere Immigration blieb (ich bin nicht frei, aber heimlich in meiner Seele doch)?

Ich frage mich, wie viele Menschen in den Generationen seit dem letzten Krieg dieses Lied noch auswendig singen können. Ich schaffe die erste Strophe, mehr aber auch nicht – und ich behaupte, dass die meisten Menschen meiner Generation noch nicht einmal das Lied als solches kennen.
Eigentlich müsste es angesichts der Diskussionen rund um Datenschutz in den letzten Jahren eine Renaissance erfahren haben – es ist, schaut man auf den Text, an vielen Stellen aktueller denn je. Trotzdem höre ich niemanden aus der entsprechenden Szene „Die Gedanken sind frei, wer kann sie erraten….“ singen.
Merkwürdig.

Um meinem inneren Bildungsauftrag gerecht zu werden: Hier folgt der Text.

Die Gedanken sind frei, wer kann sie erraten,
sie fliegen vorbei, wie nächtliche Schatten.
Kein Mensch kann sie wissen, kein Jäger erschießen.
Mit Pulver und Blei: die Gedanken sind frei!

Ich denke was ich will und was mich beglücket.
Doch alles in der Still’ und wie es sich schicket.
Mein Wunsch, mein Begehren kann niemand verwehren,
Es bleibet dabei: die Gedanken sind frei!

Und sperrt man mich ein in finsteren Kerker,
Ich spotte der Pein und menschlicher Werke.
Denn meine Gedanken zerreißen die Schranken
und Mauern entzwei: Die Gedanken sind frei!

Drum will ich auf immer den Sorgen entsagen
und will dich auch nimmer mit Willen verklagen.
Man kann ja im Herzen stets lachen und scherzen
Und denken dabei: die Gedanken sind frei!

Hoffmann von Fallersleben, 1848

 

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Butterfahrt zur Logopädin

Neue Patienten bedeuten für eine Therapeutin jedes Mal einen neuen Anfang – man beschnuppert sich, sammelt Fakten, versucht ein ganzheitliches Bild aus Einzelteilen zusammen zu fügen, beginnt zu arbeiten und hofft, dass bald eine tragfähige Patienten-Therapeuten-Beziehung entsteht.
So auch bei mir als Logopädin.
Manche Kinder sind zu Beginn offen und begeisterungsfähig – ein Teil davon bleibt es (ca. 40-70%), ein Teil langweilt sich nach einigen Wochen der Therapie mehr oder weniger dezent (ca. 5-30%) und ein Teil entwickelt sich im Laufe der Zeit zu hartnäckigen Fällen (ca. 5-20%).
Manche Kinder müssen wochenlang „aufgewärmt“ werden, bis sie offen mit mir sprechen und arbeiten, was auf der psychologischen Ebene so viel Konzentration erfordert, dass logopädisch wenig passiert. Dann jedoch entdecke ich immer wieder wahre Schätze.
Andere Kinder treten am Anfang wie ein Alptraum aus Erziehungsbüchern auf,  sodass ich um meine Nerven bange (wie soll ich das aushalten?), aber nach einigen Stunden unter vier Augen und klaren Ansagen läuft es plötzlich doch.
Wieder andere verabschieden sich nach der zweiten Stunde mit Küsschen von mir.
Kurz: Wie sich die Zusammenarbeit entwickelt und welche Resultate im Therapieprozess möglich sind, zeigt die Zeit.

Momentan habe ich durch Zufall einen ganzen Schwung älterer Damen in Behandlung (natürlich jede einzeln), was derzeit noch ungewohnt ist.
Die Störungsbilder reichen von neurologischen, degenerativen Erkrankungen über einen Schlaganfall bis zu Stimmstörungen.
Die Damen sind teilweise energiegeladen und taff, teilweise antriebslos, selbstmitleidig und psychisch auffällig – die ganze Bandbreite also.
Die eine wünscht sich klare Instruktionen, viele Übungen und kein Gespräch, die andere scheut vor jeder Form von therapeutischer Intervention zurück und möchte nur reden (oder, wie meine Chefin sagt: „Saug! Saug! Wie ein Vampir. Die zieht deine Energie und Aufmerksamkeit, wo sie nur kann!“). Das erinnert denn mehr an eine Butterfahrt in die Praxis als an konsequente logopädische Übungen.
Alle sind sie deutlich älter als ich, sodass ich momentan sehr damit beschäftigt bin, gleichzeitig respektvoll aufzutreten und klare Grenzen zu ziehen. Mein Job ist die Anamnese (therapiebegleitend, nicht nur in der ersten Stunde), das Angebot von störungsspezifischen Aufgaben sowie die Erarbeitung von alltagsrelevanten Strategien, um der Patientin den Umgang mit der Krankheit zu erleichtern.
Mein Job ist nicht, von vorn bis hinten nett zu sein und für jedes beliebige Thema ein offenes Ohr zu haben, wie offensichtlich gerade ältere, alleinstehende, einsame Damen glauben.

Kurz: Die Arbeit als Logopädin bleibt immer spannend und herausfordernd – gut, wenn es Kollegen gibt, die den Rücken stärken und ähnliche Erfahrungen gemacht haben!

aufmerksam

Gehirnwäsche mit dem Goldbären

Im Supermarkt, der sich im gleichen Gebäudekomplex wie die logopädische Praxis befindet, steht seit kurzer Zeit eine kleines elektrisches Karussel.
Es dreht sich und blinkt, während es unablässig „Haribo macht Kinder froh, und Erwachsene ebenso“ spielt. Werbewirksam gibt es keinen Münzeinwurf (50 Cent pro Runde), nein:
Es gibt einen grünen Knopf sowie die Aufschrift „Freie Fahrt mit Haribo!“
Als Elternteil setzt man das Kind auf das Karussel, bringt nebenan schon mal schnell die Pfandflaschen weg und bedenkt die folgende Auswirkung gar nicht:
Dass das Kind ein sehr positives körperliches (Drehen), visuelles (Blinken) und akustisches (Lied) Erlebnis hat, während es unentwegt die Werbebotschaft hört.
Im Gehirn des Kindes wird ratz-fatz „Positives Gefühl“ und „Haribo“ miteinander verknüpft und bingo – die Gehirnwäsche sitzt.

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Fernsehsendung zum Locked-In-Syndrom

Der WDR hat im letzten Jahr eine Sendung zum Thema „Wachkoma“ und „Locked-In“ gedreht, die heute auf 3sat ausgestrahlt wurde. Dabei wurde vorrangig die Fragestellung behandelt, ob es „austherapierte“ Patienten gibt, ob alle Wachkoma-Patienten korrekt als solche diagnostiziert sind und welches Potential das Gehirn trotz dieser Diagnose hat.

Bezüglich der Frage, woran man erkennt, wie weit der Wachkoma-Patient seine Umgebung wahrnimmt und wie intakt die kognitiven Prozesse trotz des Unfalls sind, wurden eine Reihe Patienten im Uniklinikum Lüttich eine Woche lang intensiv untersucht. Da im Kernspintomographen zwar Aktivität in einzelnen Regionen des Gehirns sichtbar gemacht werden kann, nicht jedoch die Reaktionen eines vollständig gelähmten Menschen auf Anfrage beurteilt werden können, stellte einer der Ärzte folgende Aufgabe:
„Ich stelle Ihnen eine Frage. Wenn Sie ’nein‘ antworten wollen, denken Sie daran, wie Sie Sport machen. Wenn Sie ‚ja‘ antworten wollen, denken Sie an (…)“
Dadurch werden bestimmte, lokalisierbare Regionen des Gehirns stimuliert (wie in diesem Beispiel die Bewegungsplanung und das geistige Erleben einer Bewegung), wodurch die Ansprechbarkeit und das Sprachverständnis des Patienten durch rot leuchtende Aktivität im entsprechenden Hirnareal eingeschätzt werden können.

Inwieweit ein Patient „austherapiert“ ist oder sein kann, ist derzeit vorrangig eine Frage der finanziellen Mittel der Krankenkasse bzw. deren Bereitschaft, finanzielle Mittel zur Verfügung zu stellen.
Andererseits weiß ich aus meinem Alltag, dass es mehr Spaß macht, einen Patienten zu therapieren, der aufgrund meiner Bemühungen Fortschritte zeigt, als einen Patienten zu behandeln, um den status quo zu halten. Beides erfordert Einsatz, aber nur das erste vermittelt den Eindruck, erfolgreich zu sein.
Und ich weiß, dass man als Therapeutin einen Patienten nach Jahren der Therapie „satt haben“ kann, dass einem die Ideen ausgehen, dass man trotz Dialog im Kollegenkreis auf der Stelle tritt – dies bedeutet jedoch nicht, dass für den Patienten nichts mehr getan werden kann: Es bedeutet, dass ich als Logopädin an meine Grenzen komme, weil ich tue was ich kann, aber weder Engel noch Heilige bin. Dann bietet sich ein Therapeutenwechsel an oder der Versuch eines neuen Behandlungskonzepts außerhalb der eigenen Praxis.
Nicht jedoch sollte an dieser Stelle der Patienten abgeschrieben und entlassen werden!
Die Frage nach dem Sinn der Therapie ist eine Frage nach dem ‚wie‘, nicht eine Frage nach dem ‚ob‘!

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„Frau nackig – Mann redet“

Nein, mit dem Thema „Emanzipation“ bin ich noch lange nicht durch.
In der Juni Ausgabe 2011 der Zeitschrift PSYCHOLOGIE HEUTE liegt der Fokus auf dem Thema Typisch Frau? Typisch Mann? Es gibt mehr Ähnlichkeiten als Unterschiede!

PSYCHOLOGIE HEUTE: Die Ergebnisse Ihrer Aufsatzstudie schüren Zweifel: Haben unsere ganzen Emanzipations- und Gleichstellungsbemühungen nichts genützt? Haben wir als Eltern versagt?
RENATE VALTIN: Obwohl Eltern sich bemühen, ihre Kinder nach gleichen Maßstäben zu erziehen, wirken die „heimlichen Erzieher“ mit, wie Werbung und Fernsehen. Wenn Sie sich die Bilder von Frauen und Männern in der Werbung, auf Titelseiten der Illustrierten, im Fernsehen vergegewärtigen, so verführen sie zu der Schlussfolgerung, zu der die knapp zweijährige Tochter der Autorin Marianne Grabrucker gelangt ist: „Frau nackig – Mann redet.“ Auch wenn wir noch so gute Absichten haben: Wir leben in einer männerdominierten Welt, und wir alle stellen die Geschlechterverhältnisse immer wieder neu her und reproduzieren sie im Umgang mit der materiellen Welt und in der alltäglichen Interaktion durch Stimme, Verhalten, Kleidung, Sprache.
(…)
Mädchen haben ein weniger positives Selbstbild und eine geringere psychische Stabilität: Ihre Leistungsängstlichkeit und psychosomatischen Beschwerden sind höher. Auch im Leistungsvertrauen schneiden Mädchen schlechter ab: Sie haben ein niedriges Selbstkonzept der Leistungsfähigkeit (Begabung) und eine niedrigere Erfolgszuversicht – und dies, obwohl sie in der Schule erfolgreicher sind. Es gelingt ihnen nicht, aus besseren Zensuren und Schulabschlüssen Kapital zu schlagen.

PH: In der Studie wurde auch offensichtlich, dass es für Mädchen heute wichtiger denn je ist, schön und attraktiv zu sein. Wie kann man sich das erklären?
VALTIN: Laut dem Soziologen Pierre Bourdieu „existieren Frauen zuallererst und durch die Blicke der anderen, das heißt als liebenswürdige, attraktive, verfügbare Objekte.“ Tagtäglich wird dies durch die Medien bestätigt: die sexualisierte Werbung, die Abbildung von „Vorzeigefrauen“ an der Seite ihrer deutlich älteren Partner. Frauen haben es schwer, allein durch Kompetenz zu beeindrucken. Dass zehnjährige Mädchen so stark auf Schönheit und Attraktivität fixiert sind, ist ja durchaus ein Zerrspiegel des Bildes der Frau in Medien und Werbung.

PH: Warum sind Jungs überzeugter von Ihren Fähigkeiten als Mädchen?
VALTIN: Jungen sind das bevorzugte Geschlecht, sie haben, eben weil sie männlich sind, von vornherein einen Vorsprung in ihrem Selbstwert und ihrem Leistungsvertrauen – selbst bei schlechten Schulleistungen können sie sich Frauen überlegen fühlen. Ferner gelingt es Jungen besser als Mädchen, die vielen schulischen Misserfolge von sich fernzuhalten. Sie haben weniger Leistungsängste und verarbeiten Misserfolge selbstwertdienlicher, das heißt, sie führen sie nicht auf eigenes Unvermögen zurück, wie Mädchen das tun, sondern auf mangelnde Anstrengung.
(…)

 

Renate Valtin ist emerierte Professorin für Grundschulpädagogik an der Humboldt-Universität in Berlin und war Vorsitzende der PISA-Task-Force der International Reading Association

aus: PSYCHOLOGIE HEUTE   Juni 2011   Seite 30

 

Aktueller Beweis dafür, dass bei Frauen weniger die Kompetenz als die erotische Komponente zählt:
Fünf Spielerinnen der Fußball-Nationalmannschaft ziehen sich für den Playboy aus.
Unnötig, unpassend, nicht zielführend und sich selbst respektlos gegenüber:
Das haben sie wirklich nicht nötig.

http://www.playboy.de/stars-stories/stars/fifa-frauen-wm-2011