aufmerksam, feminin, glaubhaft

Klugscheißen: Manchmal das größte Geschenk, das wir anderen machen können

Ich bin eine Meisterin des Klugscheißens.
Meistens merke ich es erst, nachdem ich jemanden umfangreich an die Wand gelabert habe, dass ich es wohl etwas übertrieben habe.
Und auch, dass meine wirklich helfend gemeinte, serviceorientierte Erklärung wohl eher in einer fiesen Runde Besserwisserei endete.
Dann schäme ich mich immer ganz schrecklich und frage Gott, warum er mir keine innere Bremse schenkt, die wie ein Fallgitter im Burgtor runter rasselt, bevor ich mit meiner feurigen Kavallerie temperamentvoller Pferde auf mein Gegenüber los presche.
Ich meine es nur gut, wirklich. Wenn ich all mein Wissen und meine Ratschläge über jemandem ausgieße, ist das in meinen Augen ein Geschenk. Aber es geht eben auch oft daneben…

Umso glücklicher bin ich, wenn eine Person, die sehr viel mehr Sachverstand in einem bestimmten Erfahrungsgebiet als ich hat, mir gegenüber klugscheißt.
Klugscheißen kann ein echtes Geschenk sein: Wenn mein Gegenüber fundierte Kenntnisse besitzt und ich genau diesen Wissensschatz anzapfen möchte, bin ich sehr, sehr dankbar darüber. Derzeit muss ich eine wirklich schwierige Entscheidung treffen und bin so glücklich darüber, eine Freundin zu haben, die mir alle paar Tage saftige Predigten hält. Sie ist in einer Branche, in der ich Quereinsteigerin bin, schon lange beheimatet und hat umfangreiches Hintergrundwissen. Bisher habe ich meine Entscheidungen auf eigene Faust getroffen, ohne eine Insiderin vorher zu befragen – da ist eine Besserwisserin wirklich hilfreich.

Ich habe mich schon oft bei Menschen entschuldigt, die ich mit einem Abfall von Klugscheißen „beglückte“ und denen gegenüber es mir im Nachhinein leidtat.
Mir tat definitiv nicht leid, was ich gesagt habe, mir tat aber sehr wohl leid, dass ich es unbedingt mit so einer oberschlauen Haltung anbringen musste.
Wenn ich jetzt also von meiner lieben Freundin nach einem Telefonat eine „Stopp mich, wenn ich dich überrolle“-Mail bekomme, denke ich: „Nein, ich stoppe dich nicht, denn du erweist mir einen unschätzbaren Dienst, den ich sehr nötig habe.“ Vielleicht ging es den Menschen, bei denen ich mich nach einem Klugscheiß-Anfall entschuldigte, und die meinen Kniefall lächelnd abtaten, ja auch so: Sie fanden es vielleicht wirklich nicht sooo schlimm, wie es mir nachher leidtat.
Kurz: Klugscheißen auf dem Fundament eines reichen Erfahrungsschatzes kann ein wichtiger und wertvoller Freundschaftsdienst sein. Wir Frauen haben ja oft Hemmungen, klar Standpunkt zu beziehen, weil wir grundsätzlich denken: „Vielleicht kann man die Sache ja auch ganz anders sehen und ich liege inhaltlich daneben, also sage ich lieber nichts, bevor ich das Falsche sage.“
Alle, die im Gegensatz zu mir eher zurückhaltend sind, möchte ich heute ermutigen, fröhlich und mutig die eigenen Meinung kundzutun.
Und mit meiner eigenen Besserwisserei bin ich vielleicht gar nicht so eine schreckliche Kollegin und Freundin, wie ich immer dachte…

aufmerksam, glaubhaft

Wofür das Herz schlägt

Vor einigen Wochen habe ich während der ehrenamtlichen Renovierung eines Freizeitheims drei junge Flüchtlinge aus Eritrea kennengelernt. Mich beschäftigt das Flüchtlingsthema in Wellen – meist dann, wenn ich damit unmittelbar zu tun habe. Neben all den anderen fürchterlichen Geschehnissen auf dieser Welt (verhungernde Kinder, weibliche Beschneidung, Sexsklavinnen, Ehrenmorde und getötete indische Säuglingsmädchen) ist die Flüchtlingsproblematik in meinen Augen eine der größten Tragödien der Gegenwart.
Umso wichtiger ist es mir, den Flüchtlingen in meiner Umgebung zumindest für den Moment der Begegnung Respekt und Gastfreundschaft zu erweisen. So organisierte ich spontan einen afrikanischen Liederabend, in der Hoffnung, dass die drei den Mut finden, uns Lieder aus ihrer Heimat beizubringen – meine drei Lieder auf lingala, swahili und zulu waren nämlich alles an Repertoire, das ich auswendig weitergeben konnte. Leider waren die anwesenden KonfirmandInnen begeisterter als die Eritreer, aber einen Versuch war es wert… Einer der drei zeigte uns daraufhin ein sehr langes Lied über das Leben Jesu auf seinem Mobiltelefon auf tigrinya, immerhin.
Mit einem von ihnen unterhielt ich mich viel während der Arbeiten auf dem Gelände über das Leben in Deutschland. Langsam und mit minimalem Wortschatz, damit wir uns verständigen konnten. Besonders die Frage nach einem eigenen Auto beschäftigte ihn sehr… Alle drei lud ich ein, abends in der begrenzten Freizeit zwischen zwei Gebetszeiten mit mir am nahegelegenen See spazieren zu gehen – den hätten sie sonst nie entdeckt. Sie bewunderten den (noch kahlen) deutschen Wald und bedauerten jedes Opfer des letzten Sturms einzeln. Während dessen versuchte ich ihnen zu erklären, welche Beeren an welchen Büschen wachsen und wann – die klimatische Variante von vier Jahreszeiten blieb bis zum Schluss unerklärlich. Ebenso die Höhe einer durchschnittlichen Monatsmiete in Hamburg, was ebenfalls eine Frage während unserer Unterhaltung war.
Trotz der wahrscheinlich traumatischen Erlebnisse während der Flucht wirkten die drei sehr treuherzig. Sie bedankten sich für alles, schlugen tapfer jedes der fremden Lieder in dem ihnen unbekannten Liederbuch auf und verfolgten täglich aufmerksam jede der vier ihnen unverständlichen Gebetszeiten.
Die Begeisterung des Jüngsten, im Gartenteam eine elektrische Heckenschere ausprobieren und mit Ohrschützern in der Nähe des Schredders helfen zu dürfen, war unglaublich. Wenn ich verschwitzt über das Gelände stiefelte, um etwas zu trinken und an eine kurze Pause zu denken, sagte er stets: „Mude? Ich nicht mude (müde)!“ -und lud mich ein, in der Schubkarre sitzend zurück zum Mulchberg zu fahren, um dort Nachschub zu holen (Da mein Körper zu sehr schmerzte, um in einer rumpeligen Schubkarre fahren zu wollen, wurde daraus nichts…).

Zurück zu Hause habe ich noch oft an sie gedacht und enthusiastisch von ihrem Leben erzählt – einfach, weil es so unglaublich ist, was in anderen Teilen der Erde vor sich geht und (gefühlt) niemand hier in Deutschland weiß. Und genauso, unter welchen Bedingungen Flüchtlinge in unserer Nähe leben. Hätte mir eine Freundin von Flüchtlingen aus Weiß-der-Geier-wo und den dortigen Lebensumständen erzählt, wäre es mir wohl ebenso egal gewesen wie es meinen Freundinnen (weitestgehend) egal war. Während ich am vergangenen Sonntag mit einem jungen Mann aus Eritrea mitgefiebert habe, der beim Hamburg Marathon gegen einen Kenianer verlor, wurde mir deutlich, dass letztlich alles von der Begegnung abhängt:
Menschen weisen so lange andere Menschen ab und verweigern ihre Hilfe, bis sie mit einander ins Gespräch kommen. Und sei es mit Händen und Füßen. Auf Augenhöhe.
Hätte ich diese drei Eritreer nicht getroffen, wäre mit das Schicksal der verfolgten Christen sowie der Hunger vor Ort ebenfalls gleichgültig gewesen. Auch so konnte ich nicht viel tun – außer das Gespräch suchen, zum gemeinsamen Spiel am Abend einladen und im Nachhinein eine Mail mit Ideen zum Deutschlernen an den Herrn schicken, der ihnen ehrenamtlich deutsch beibringt.

aufmerksam, Gäste & Feste

TischTransaktion: Gastfreundschaft mit Unbekannten erleben

„Eine Idee* ist auf Reisen, eine Idee, die sich der Gastfreundschaft stellt und die Gastlichkeit trägt und mit trägt. Ein Tisch, der auf Reisen ist, nein, nicht nur ein Tisch, sondern einige, viele Tische sind auf Reisen kreuz und quer in Rheinland-Pfalz.
Für fünfzig Tage wechseln sie den Ort, ihr Heim und sind erst als Gast in einem fremden Haus, empfangen dann Gäste und kehren reich an Erfahrung nach einem Monat in ihr Heim zurück. Teilnehmen können Familien, jede Frau, jeder Mann, die bereit sind für 4 bis 6 Wochen den eigenen Esstisch, den Küchentisch, den Tisch des inneren Zentrums des Hauses gegen den eines anderen einzutauschen und Gäste zu empfangen. Gäste sind u.a. Personen, die ihren Tisch auch tauschten und Personen, die durch Medienberichte von der Aktion erfahren und die Tische und die Menschen um die Tische besuchen möchten. Die Anzahl der Gäste ist freie Wahl, sie melden sich telefonisch an. Dadurch lässt sich die Anzahl der Besucher selbst bestimmen.

* Die Tischtransaktion wurde von Die Fabrikanten/Linz Österreich und ASA-European/Köln entwickelt“

An den „TauschTischen“ versammeln sich bekannte und bisher fremde Menschen, um Gastfreundschaft zu erleben und den eigenen Horizont zu weiten.

 

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„Worte und Sätze flitzen über den Tisch, Gelächter und Erstaunen. Nie gehörte Berichte und unglaubliche Geschichten wecken das Interesse. Es wird verhandelt, Vernunft, Sinn und Unsinn sammeln sich zum Reichtum, der in der Begegnung liegt.“

Die faszinierende Aktion ist auf der Website TischTransaktion zu entdecken.
Vielleicht schließen sich begeisterungsfähige Menschen in anderen Bundesländern an?