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Buchempfehlung: „Zwei bemerkenswerte Frauen“ von Tracy Chevalier

Das Buch erschien in der Originalausgabe unter dem Titel „Remarkable Creatures“, was auf die Hauptdarsteller hinweist – es handelt von der Entdeckung der Dinosaurier.
Der Roman spielt in Lyme Regis, Südengland, an der „Jurassic Coast“ – einem Küstenabschnitt, der bis heute stark erodiert und in seinen Gesteinsschichten eine große Zahl Fossilien und Dinosaurier-Skelette birgt, die durch den Abbruch der Felsenkante oberhalb des Meeres immer wieder zum Vorschein kommen.
Elizabeth Philpot, eine junge Frau, wird mit ihren beiden anderen unverheirateten Schwestern von ihrem Bruder (und einzigem noch lebenden Verwandten) nach Südengland „verbannt“. Dort sollen sie, gemeinsam mit (nur!) einem Hausmädchen ein sparsames und dennoch angenehmes Leben als zunehmend alternde Jungfern führen. Trotz ihrer Zugehörigkeit zur Oberschicht haben sie (bis auf die jüngste Schwester) keine Verehrer, da es ihnen an Schönheit und an finanziellen Mitteln fehlt. Die Schwestern versuchen, sich nach dem lebhaften London im verschlafenen Lyme einzuleben und tun dies auf unterschiedliche Weise. Elizabeth beginnt, lange Spaziergänge am Strand zu unternehmen und nach Fossilien zu suchen. Dabei lernt sie ein Mädchen aus der Arbeiterschicht, Mary Anning, kennen, die trotz fehlender Schriftsprachkenntnisse und geringer Schulbildung eine Menge über die Versteinerungen zu erzählen hat. Mary sammelt die Fossilien, um sie an Touristen zu verkaufen – Elizabeth sammelt sie um ihrer selbst willen und besorgt sich immer wieder Bücher aus London, um ihr Wissen darüber zu erweitern und an Mary weiter zu geben.
Eines Tages, 1811, findet Mary das Skelett eines Ichthyosaurus, der damals noch mit „Krokodil“ benannt wird. Da Mary dadurch Geld verdient, ist ihr diese unklare Bezeichnung nicht weiter wichtig – Elizabeth jedoch, die die Lehren von Lamarck, Cuvier und weiteren zeitgenössischen Wissenschaftlern kennt, fragt sich, worum es sich wirklich handelt. Und ob es sein kann, dass auf der Erde früher einmal Tiere lebten, die es heute nicht mehr gibt. Aber warum sollte Gott in seiner Herrlichkeit Tiere schaffen, die dann wieder von der Erde verschwinden? Gibt es fehlerhafte Tiere, die Gott aussortierte? Ist Gott in seiner Schöpfung dann nicht so fehlerlos, wie man bis dahin glaubt? Ist die Erde älter als die von Bischof Ussher angesetzten 6000 Jahre? Und wurde die Erde vielleicht nicht in 7 Tagen geschaffen? Es häufen sich Fragen, die bis dahin nie gestellt wurden und die auch in einer Kleinstadt wie Lyme weiterhin nicht gestellt werden dürfen.

Parallel dazu gewinnt Mary durch weitere Funde an Bekanntheit, sodass zunehmend Adelige und (semi)professionelle Wissenschaftler Dorsets Küste besuchen. Ihre Hilfe wird von den Herren gern in Anspruch genommen, um Fossilien zu finden – die Herren geben die Funde allerdings als die ihrigen aus und lehren oder promovieren darüber, ohne dass Marys Talent und ihr Wissen erwähnt wird. Sie dient den Herren als eine Art freiwilliges Dienstmädchen, ohne dafür bezahlt zu werden und ohne für ihre Kompetenz öffentlich anerkannt zu werden. Ihre Armut wird dadurch nicht gelindert, aber ihr Selbstbewusstsein steigt mit jedem Fund eines Skeletts.
Erst am Ende des Buches wird der Name „Mary Anning“ in einer Randbemerkung eines Wissenschaftlers während eines Vortrags vor der Geologischen Gesellschaft in London fallen gelassen – weil Elizabeth Philpot sich mit allem Nachdruck dafür einsetzte. Während er sich von ihr überreden ließ, Mary angesichts des aktuellen Fundes zu erwähnen, unterstreicht er gleichzeitig, dass sie niemals in einem gedruckten Werk Erwähnung finden wird. Elizabeth darf nach langem Drängen dem Vortrag von der Hintertreppe lauschen – Frauen sind in der Welt der Wissenschaft weiterhin geächtet, selbst wenn sie fähiger sind als die Herren.

Ich empfehle dieses Buch, weil es einen Einblick in die damalige Zeit erlaubt und gleichzeitig vor Augen führt, wie wichtig die Emanzipation der Frau war und bis heute ist.

 

Tracy Chevalier: „Zwei bemerkenswerte Frauen“, Knaus 2009

Zum Weiterlesen: http://de.wikipedia.org/wiki/Mary_Anning

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Buchempfehlung: „Septemberwünsche“ von Lucy Clare

Der Roman „Septemberwünsche“ handelt von drei Frauen mittleren Alters, die an der gleichen Schule als Lehrerinnen arbeiten und miteinander befreundet sind. Keine von ihnen arbeitet mit vollem Herzen in der Schule, aber alle haben sich irgendwie damit arrangiert. Im Gespräch geht ihnen auf, wie sehr sich ihre drei Leben festgefahren haben und wie stark sie sich nach einer Veränderung sehnen – gleichzeitig bereitet ihnen bereits der Gedanke an eine Veränderung Angst.
„Du darfst nicht einfach am Strand stehen und darauf warten, dass dir die Wellen den Boden unter den Füßen wegziehen.
Geh und schlag selbst eine Welle!“

Angesichts des beginnenden Schuljahres Anfang September vereinbaren sie, dass jede von ihnen bis zum nächsten Jahr zur gleichen Zeit „eine Welle“ initiieren soll – eine weitreichende Veränderung des Lebens, gleich welcher Art. Parallel dazu eröffnen sich einerseits neue, ungewohnte Perspektiven, die darauf untersucht werden, ob sie zu einem willkommenen Richtungswechsel genutzt werden können. Gleichzeit fahren sich zu Beginn die bisherigen Lebensumstände der drei zusätzlich fest, sodass ihnen gar nichts anderes übrig bleibt, als in die Krise einzutauchen und die Herausforderung anzunehmen.

Mir gefiel das Buch insbesondere zu Beginn sehr gut, im zweiten Drittel wurde die Handlung temporeicher, aber auch verwirrender. Trotzdem regt es dazu an, sich über die eigene Lebensgestaltung Gedanken zu machen und nicht abzuwarten, bis die Umstände sich von Zauberhand verändern und ungeahnte Perspektiven in strahlendem Glanz auftauchen (was bekannterweise sehr unwahrscheinlich ist).

 

Lucy Clare: Septemberwünsche, Roman, Knaur 2010

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Buchempfehlung: „Villa Dante“ von Elizabeth Edmondson

Vier Personen, die sich untereinander nicht kennen und alle an einem „toten Punkt“ in ihrem Leben angekommen sind, erhalten einen überraschenden Brief: Jeder von ihnen wird gebeten, sich so bald wie möglich in einer alten Villa in der Nähe von Genua einzufinden – es handele sich um eine Testamentseröffnung. Keiner der Protagonisten kennt die Frau und den Ort, von denen die Rede ist. Doch alle vier unterbrechen ihr Leben, da sie jeweils Unzufriedenheit und Unruhe verspüren und es nichts gibt, was sie in ihrem Alltag hält.
Der Roman spielt in den fünfziger Jahren und beschreibt zu Beginn die Aufbrüche der einzelnen Personen, die sich auf den Weg in die Villa Dante machen und dort innerhalb weniger Tage nacheinander eintreffen. Vor Ort stellen sie fest, dass keiner weiß, was vor sich geht und der Notar der verstorbenen Beatrice Malaspina nicht bereit ist, ihnen Informationen zukommen zu lassen. So beschnüffeln sie sich und ihre Umgebung zuerst misstrauisch, fällen erste Urteile über die anderen und beginnen so langsam, die Auszeit zu genießen – jeder auf seine Weise. Während sie sich untereinander immer besser kennenlernen, versuchen sie heraus zu finden, was das Vermächtnis der Fremden sein soll und warum sie ausgerechnet die vier dafür ausgesucht hat. Zunehmend steigt die Verunsicherung, weil Beatrice Malaspina sehr viel über jede und jeden von ihnen zu wissen scheint – insbesondere, was die Brüche und die Unzufriedenheit in ihrem Leben angeht.

Zu Beginn des Buches fiel es mir schwer, die Einzelheiten aus den Beschreibungen der Personen richtig einzuordnen und im Kopf zu behalten, während die Handlung voranschreitet. Sobald sich alle in der Villa eingefunden haben und die eigentliche Handlung beginnt, liest es sich sehr gut. Da der Spannungsbogen konsequent gehalten wird, fällt es schwer, das Buch langsam und mit Genuss zu lesen oder es aus der Hand zu legen – man möchte einfach wissen, was des Rätsels Lösung ist.
Mir hat die Auflösung der Zusammenhänge am Schluss gefallen, trotzdem fand ich einiges davon holperig oder nicht ausreichend erklärt. Davon abgesehen ist dies Buch sehr empfehlenswert, besonders dann, wenn man Zeit hat, sich hinein zu vertiefen und mehrere Kapitel am Stück zu lesen.
Ideal für ein verregnetes Wochenende!


Elizabeht Edmondson: „Villa Dante“, erschienen im rowohlt Verlag, gebunden und als Taschenbuch erhältlich.