aufmerksam, feminin, kreativ

Atelierbesuch bei einer Hamburger Illustratorin


Heute besuchen wir einen geheimnisvollen Ort: Mitten in Hamburg, aber scheinbar aus der Zeit gefallen… in einer alten psychiatrischen Klinik.
Noch dient das „Kreativikum“ diversen KünstlerInnen als Arbeitsplatz und Treffpunkt. Doch in wenigen Jahren werden auch hier teure Wohnungen entstehen: Die Gentrifizierung greift weiter um sich. Ursprünglich sollten die Ateliers den Stadtteil aufwerten und frischen Wind nach Eilbek bringen. Inzwischen lässt der Betreiber „Hamburger Kreativ Gesellschaft“ die MieterInnen im Stich, die bis zum Baubeginn das Quartier beleben sollten.

Jetzt klettern wir erstmal das steile Treppenhaus hinauf und besuchen eine Freundin aus meiner neuen Gemeinde, in der sich viele schreibende, zeichnende und musizierende Menschen Zuhause fühlen. Wenn auf dem Blog „Meine Quilts und ich“ sich mal wieder kreative Damen gegenseitig in ihren Ateliers besuchen, bin ich immer neidisch und möchte gerne mitmachen. Heute bringe ich Angela Glökler zur Mittagspause ein Picknick mit und darf ihre Zeit stehlen, um mich bei ihr umzuschauen.

Verglichen mit meinen Rezensionexemplaren platzen ihre Bücherregale vor lauter Buchstaben und Bildern. Auch Übersetzungen in andere Sprachen mischen sich zwischen die Vorlesebücher, bis nach China haben ihre Illustrationen es geschafft.

Text vom Lioliola-Lied von Fredrik Vahle

Natürlich zeichnet Angela weiterhin erste Entwürfe auf Papier, aber die meisten Bilder entstehen am Computer. Besonders lustig fand ich die Ideen, die das Lektorat des Schulbuch-Verlags aus Angelas Entwürfen gezaubert hat: Dort wurde die Hauptfigur eines Deutschbuchs für Grundschüler vom weißen Hai gejagt oder in einer Hängematte auf einer Insel ausgesetzt.
Ich wünsche Angela für ihre Aufträge weiterhin viele herzerwärmende Ideen und immer einen flotten Arbeitsfluss 😉 Solange träume ich weiter von einem Arbeitgeber, der mir absolut-notwendiger-Weise ein Atelier für meine Arbeit zur Verfügung stellt. Ich würde es auch mit netten KollegInnen teilen…

aufmerksam, glaubhaft

Buchempfehlung: „Verbietet das Bauen! Eine Streitschrift“

„Genau wie vor zwanzig Jahren leben auch heute gut achtzig Millionen Menschen in Deutschland. Doch während dieser Zeit stieg die Zahl der Wohnungen von 35 auf 41 Millionen. Wir bauten genug neue Wohnungen, um sämtliche Niederländer unterzubringen, obwohl die Zahl der Einwohner hierzulande stagniert. Die 6 Millionen neue Wohnungen bestehen aus knapp dreißig Millionen Räumen auf über achthundert Millionen Quadratmeter. Selbst wenn man die Baukosten vorsichtig mit zweitausend Euro je Quadratmeter ansetzt, haben wir für anderthalb Billionen neu gebaut, nur weil wir uns auf mehr Platz ausbreiten. Dieses Geld könnte fünf Jahre lang den kompletten Bundeshaushalt finanzieren: sämtliche Bundeszuschüsse zur Rentenversicherung und zum Arbeitslosengeld II (Hartz VI), dazu alle Kosten für die Bundeswehr und die Rückzahlung der Kredite.“

Daniel Fuhrhop, Architekt, in „Verbietet das Bauen! Eine Streitschrift“

„So stark der Traum vom Haus sein mag, so schnell ist er wieder vergessen: Sobald die Kinder groß sind, ziehen sie als junge Erwachsene in die Stadt, und sobald die Kinder ausgezogen sind, wollen auch die Eltern wieder zentraler wohnen. Eigentlich wollte scheinbar jeder in der Stadt bleiben, doch >für die anderen< (für die Kinder, die Mutter, die Oma) zogen alle raus. Aber wenn die jungen Erwachsenen älter werden, beginnt der Kreislauf aufs Neue. Während neue Generationen mit vielen Idealen ihrer Eltern brechen, scheint sich der Mythos Eigenheim fortzupflanzen.“

„Zwei Drittel der deutschen Städte und Gemeinden wissen nicht, wie viele Häuser, Wohnungen oder Büros bei ihnen leerstehen. Gerade mal ein Viertel der Kommunen hat zumindest einen Teil des Leerstands erfasst, nur jede achte kennt ihn komplett, sagt eine Studie des Bundesministeriums für Bau-, Stadt- und Raumforschung.
Viele Städte erlauben Neubau und wissen nicht einmal, wo es in Altbauten noch Platz gibt!“

„Wir müssten uns nicht um Neubau kümmern, wenn wir all das täten, was ihn entbehrlich macht: keine alten Häuser abreißen, den Leerstand bei Büros, Läden und Wohnungen beseitigen, bei Kirchen und Kasernen ebenso; hier leere Büros in Wohnungen umnutzen, dort genau umgekehrt, je nachdem, was wo fehlt. Und Prestigeprojekte verhindern: Übertrumpfen wir den Nachbarn nicht länger mit einem neuen Haus, einem neuen Museum oder einer neuen Philharmonie, sondern mit der Liebe zu unserer gebauten Stadt. Wir sollten nicht in die vermeintlich tollen Bezirke und Städte ziehen, sondern uns mit offenen Augen auch die weniger beliebten Stadtviertel anschauen; nicht wie selbstverständlich unser eigenes Büro fordern, wenn wir ohnehin meist unterwegs sind, sondern einen Arbeitsplatz nur dann beanspruchen, wenn wir ihn wirklich benötigen. Und wir sollten uns nicht immer breiter machen und immer mehr Zeug ansammeln, sondern uns darauf besinnen, was wir wirklich brauchen. Bringen wir Mut zu Nähe auf, und teilen wir Räume mit anderen. Wenn wir all das tun, müsste nichts neu gebaut werden.“

Daniel Fuhrhop ist Architekt und zutiefst davon überzeugt, dass Neubauten grundsätzlich zu Lasten der Umwelt und der sozialen Umgebung ausfallen. Neubauten verschlingen Unmengen an Ressourcen, die sie nie wieder „einsparen“ können. Sie verdichten die Stadt, vernichten Parks und Kleingärten. Sie zerschneiden immer weiter die eng besiedelte Landschaft Deutschlands, denn jede Neubausiedlung zerstört Natur. Zusammen mit den gleichzeitig entstehenden Strukturen wie Straßen, Parkplätzen und Einkaufscentern wird immer mehr Fläche versiegelt. Völlig egal, wie energieeffizient die Neubauten sind, sie nehmen Pflanzen und Tieren Lebensraum weg. Und damit uns Menschen langfristig die Lebensgrundlage.
Aber der Mythos vom „Haus im Grünen“ und vom „gesunden Aufwachsen der Kinder“ ist so groß, dass selbst gebildete und ökologisch sensible Menschen regelmäßig auf den Traum vom Eigenheim reinfallen. Kaum ist das Haus fertig, steht der Zweitwagen davor, denn die Entfernungen summieren sich ganz schnell. Einkaufen, zur Arbeit fahren, die Kinder zum Sport bringen, die Freundin besuchen: Plötzlich fehlt das enge Netz der öffentlichen Verkehrsmittel aus der Stadt und jeder düst mit dem eigenen Wagen durch die Gegend. Sehr umweltfreundlich.
Wer in der Stadt in Neubauten zieht, muss sich darüber klar sein, dass hier vorher alte Häuser standen, in denen Menschen mit niedrigerem Einkommen lebten. Die jetzt dort, ganz offensichtlich, nicht mehr leben können.

Wer sich dafür interessiert, wie wir alle ressourcenschonend und zu Gunsten eines positiven sozialen Klimas miteinander leben können, ob in der Metropole oder im Dorf, sollte zu diesem Buch greifen: Schlau, prägnant, und mit vielen guten Ideen. Der Autor hat in den letzten Jahren viele Möglichkeiten entwickelt, wie alle Generationen sowie Zuwanderer erfüllend miteinander leben können.

aufmerksam, glaubhaft

Strategien gegen Mietwucher

Gerade habe ich einen sehr, sehr guten Beitrag von ZDFinfo auf dem Blog Konsumpf angeschaut. Dort berichtet Wolf-Christian Ulrich über die Gentrifizierung im Hamburger Zentrum, so zum Beispiel in Sankt Pauli und Sankt Georg.
Es entstehen zunehmend Initiativen gegen den Mietwucher und gegen Investoren aus dem In- und Ausland, die teure vollverglaste Büroblöcke ohne Abnehmer bauen, sprich: Die toten Raum schaffen und damit die Wohnungsnot verschärfen. Und selbst wenn neue Wohnungen in Hochglanz-Optik entstehen, können sich nur wenige (kalt) 12 Euro und mehr pro Quadratmeter bei ständig steigenden Preisen leisten.
Gut, dass es Menschen mit Ideen gibt, die bei Makler-Terminen maskierte Spontan-Partys in der zu besichtigenden Wohnung feiern:
Wer zu hohe Mieten verlangt, bekommt Besuch: Die Antwort auf zehn Euro Netto-Kaltmiete in mieser Lage gibt’s mit Konfetti, Sekt und Ghettoblaster. So einfach geht ne Fette-Mieten-Party.
Jonas Füllner : „In dem Moment, wo wir Wohnungsbesichtigungen suchen und da ne Party feiern, kann da keine Wohnungsbesichtigung mehr stattfinden. Wir stören also diesen Betrieb des Wohnungsmarktes, den unterbrechen wir, aber vor allem geht es uns natürlich darum, medial für das Thema für Aufmerksamkeit zu sorgen.“

Ich will auch mitmachen!
Seit Jahren wird behauptet, Barmbek werde das neue Schanzenviertel. Dem ist zum Glück nicht so, aber die Mieten ziehen vorsorglich bereits an. Der Untergang des ehemaligen Hamburger Arbeiterviertels ist längst im Gange – aber noch nicht so sichtbar wie anderswo.
Also: Ran an Immonet und Immoscout (da bin ich derzeit sowieso permanent unterwegs) und den Maklern das Geschäft verleiden!

aufmerksam, glaubhaft

Gentrifizierung in Hamburg-Barmbek

Gerade bin ich durch das „Quartier 21“ geschlendert – eines der aktuellen großen Hamburger Bauvorhaben.
Auf dem fast quadratischen Gelände des Allgemeinen Krankenhauses Barmbek wird seit einigen Jahren ein Stadtteil im Stadtteil entwickelt. Die Klinik selbst ist in einen hochfunktionellen Neubau gezogen, sodass die historischen Klinkerbauten von 1913 leer standen und von den umgebenden Grünanlagen überwuchert wurden.
Ein Großteil der ästhetischen, historisch wertvollen Gebäude wurde äußerlich weitestgehend erhalten, im Inneren jedoch komplett neu konzipiert und zu großzügigen Wohnungen von bis zu 180 qm umgestaltet. Neubauten mit weniger hochpreisigen Wohnungen kamen hinzu, leider architektonisch weniger gelungen.

Auf dem seit einem knappen Jahrhundert bestehenden Areal findet nun erstmals privates Wohnen statt – positiv ist das insofern, als dass ein hoher Prozentsatz des alten Baumbestandes sowie der ursprünglichen Gebäude erhalten blieb.
Wer durch die Straßen bummelt, sieht jedoch schnell, was negativ zu beobachten ist:
All die „Townhouses“ mit ihren hohen Decken und riesigen Fensterfronten sehen aus, als würden ihre Bewohner sich an 365 Tagen im Jahr für „Schöner Wohnen“ bewerben. Teuer, stylish und mit dem passenden Auto vor der Tür.
Um in meinem beruflichen Slang zu bleiben: Ich wette, dass der Prozentsatz an Privatpatienten in Barmbek von 0% auf gefühlte 25% hoch schnellt.
Arbeiterviertel adé – herzlich willkommen Gentrifizierung in Barmbek!

Nun heißt es allerorten, in Hamburg herrsche Wohnungsnot.
Ein nicht mehr benötigtes, bereits bebautes Gebiet umzufunktionieren ist eine super Idee – schade, dass wieder nur das gehobene Preissegment bedient wird und der Normalverdiener erneut und immer häufiger leer ausgeht.
Dabei ist genau das das Problem: Dass vor lauter Gentrifizierung und Aufwertung ein Stadtteil nach dem anderen zu teuren Wohnraum anbietet, während die bezahlbaren Wohnungen kaum noch zu finden sind.
Hamburg ist bereits Deutschlands Stadt mit den meisten Millionären – da ist es nicht notwendig, die oberen Zehntausend zu hofieren, während die klassischen Arbeitersiedlungen aussterben.
Die CDU und die FDP, die in Barmbek bisher ein Schattendasein fristeten, werden sich definitiv freuen. Und die Gentrifizierung voran treiben. Schöne neue Welt! 😡

Wer sich ein eigenes Bild machen möchte:Quartier 21