Atemfreude, aufmerksam

Ameisenpopos und textilfreies Baden: Ein ganz normaler Vormittag mit „Atemfreude“

Als Logopädin habe ich früher regelmäßig die besten Kindersprüche gesammelt und hier veröffentlicht (wen es interessiert: Unter dem Suchbegriff „Kindermund“ müssten sie alle zu finden sein). SeniorInnen sind im Alltag nicht ganz so lustig wie Kinder und wenn, dann verbietet es der Respekt, darüber zu lachen. Finde ich. Aber manchmal, manchmal muss ich die dollsten Sprüche doch notieren…

Kursangebot „Atemfreude“ im Gymnastiksaal.
Zum ersten Mal konfrontierte ich die SeniorInnen mit einem „Atemschriftzeichen“, dazu benutzten wir die liegende Acht und sprachen das Gedicht „Die Ameisen“ von Ringelnatz. Auf einem Blatt im Querformat hatte ich links oben das Gedicht abgedruckt (mindestens in Schriftgröße 14, wie immer), rechts oben mit dem Kugelschreiber schnell zwei Ameisen gezeichnet und die Mitte des Zettels füllte die große, liegende Acht. Dafür, dass die SeniorInnen sehr skeptisch Neuerungen gegenüber sind und keinerlei Toleranz für „Spökenkram“ (norddeutsch für esoterischen Mist) haben, waren sie überraschend begeistert dabei. Und ich mal wieder stolz, sie aus der Komfortzone geholt und neuen Schwung verbreitet zu haben.
Nach der Stunde räumte ich wie immer das „Bühnenbild“ in der Mitte des Stuhlkreises sowie alle Materialien ein. Da kam Herr Jensen (Name geändert) auf mich zu:
„Frau Krüerke, so sieht aber keine Ameise aus,“ und zeigte auf meine schnelle Skizze. „Am Steert (norddeutsch für Schwanz) hat sie keine Beine!“ Er schaute mich strafend bis amüsiert an: „Das weiß ein alter Gärtner wie ich!“

Eine Woche später. Das heutige Thema der „Atemfreude“ war die Reise auf eine Südsee-Insel. Wer wollte, konnte sich auch die Nordsee oder das Mittelmeer vorstellen, ganz nach eigenen Vorlieben. Wie immer hatten wir eine Menge Spaß und die philosophische Frage am Ende, die ich immer auf Karten austeile, fand großen Anklang: „Nachdem wir auf der Insel nach einem Schatz gesucht haben: Wer ist Ihr Schatz? Weiß die Person, dass Sie sie wertschätzen?“
Das Bühnenbild bestand aus Palmwedeln, Papageien und einem riesigen Sonnenhut, und während ich es zusammenräumte, schlich sich wieder Herr Jensen an. „Frau Krüerke…..“ „Ja?“ „Haben Sie eigentlich gemerkt, dass ich eben beim Baden keine Badehose anhatte?“ Ich schaute kariert. Er: „Naja, das kann man unter Wasser ja nicht so erkennen, nä…?!“ und blickte mich lauernd an.
Hilfe, jetzt muss ich auch noch aufpassen, dass wir uns gedanklich während der Fantasiereise nicht entkleiden!

Gleicher Tag, inzwischen ist es Nachmittag. Ich ging mit einer Bewohnerin über den Flur. Uns kam eine ältere Dame mit einer sehr alten Dame im Rollstuhl entgegen. Ich grüßte und fragte die schiebende Dame, ob sie hier als Ehrenamtlich unterwegs sei, da ich sie noch nicht kannte. Nein, sie habe einen Mini-Job. Daraufhin stellte ich mich vor (wo wir gerade dabei waren), und sie schaute mich völlig perplex an: „SIE sind Frau Krüerke???“ Ich: „Ja, ich bin Frau Krüerke. Steht auch auf meinem Namensschild (zeige es ihr).“ Die Dame: „Wirklich? Sie sind Frau Krüerke?“ und sah mich intensiv an. So langsam war ich doch irritiert: „Ja, wieso?“ „Ach, Frau Herbst (Name geändert) schwärmt immer so von Ihnen und der Atemfreude!“
Im Nachhinein reimte ich mir zusammen, dass Frau Herbst wohl sehr regelmäßig ausführlich schwärmt und die Dame daraufhin das Bild einer sehr ausdrucksstarken, ausgesprochen weisen, überwältigend kreativen, insgesamt außergewöhnlichen Person vor Augen hatte. Und ich sah dort im Flur wohl viel jünger und viel normaler aus, als ihr inneres Bild erwartet hätte…

 

aufmerksam, kreativ

„Frau Krüerke, kann ich da mal dran lecken?“


Neulich berichtete ich
von dem riskanten Experiment, mit meinen sehr fitten, anspruchsvollen und elitären SeniorInnen einen Nachmittag voller Ratespiele und Wahrnehmungsübungen zu gestalten. Wider Erwarten gelang eine fröhliche, ausgelassene Stimmung in der Runde, sodass ich den heutigen „Quiz- und Ratespielen“ deutlich gelassener entgegen sah. Dieses Mal wollten alle eine Karte mit einer Rätselfrage bekommen, vorlesen und anschließend auflösen – so viele Karten hatte ich gar nicht gebastelt. Als ich erklärte, dass es nur eine begrenzte Anzahl Fragen gäbe, weil die Fragen ja nicht zu blöd, nicht unanständig, nicht zu sehr um die Ecke gedacht, nicht zu leicht und nicht zu bekannt sein sollten, meinte ein Herr: „Da fielen mir genau null passende Fragen ein.“ Nur eine Dame war wirklich muksch und schmollte noch eine Weile: Ungerecht! Ungerecht! Aber da ich jedes Mal das Material in Internet und Fachbüchern selbst zusammen suche, liegt dem Ganzen eine gewisse Begrenztheit zugrunde. Dennoch werde ich nächstes Mal darauf achten, für alle eine Karte zu basteln.
Dafür klappte das Spiel, bei dem sich eine Person von der Gruppe anschauen lässt und anschließend vor der Tür etwas an der Kleidung ändert, was erraten werden soll, sehr gut. Zwei Damen tuschelten eine Weile recht laut miteinander, bis sie sich entschlossen, gemeinsam vor die Tür zu gehen. Draußen tauschten sie ihre Brillen sowie jeweils einen Schuh. Auf dem Rückweg hatten sie Angst, mit den falschen Brillen nichts zu sehen…
Viel Heiterkeit brachte mir die Bemerkung „Sie dürfen an-, aus- und umziehen, was Sie wollen. Hauptsache, Sie kommen bekleidet zurück,“ ein. Allein der Gedanke, was man unter der Kleidung alles verändern könne, ohne dass die Gruppe es nach der Rückkehr der Person bemerken würde, erregte höchstes Amüsement. Nein, wir fanden nach der Stunde keine abgelegten Hüfthalter auf dem Flur…
Außerdem hatte ich von zu Hause wieder diverse Gegenstände mitgebracht. Diesmal wurden sie nicht blind im „Grabbel-Büddel“ ertastet, sondern sichtbar auf ein Tablett gelegt. Eine Person ging hinaus, nahm etwas weg, legte ggf. die verbliebenen Dinge anders hin und kehrte zurück. Was fehlte? Hierbei wurde mir dringend geraten, nach dem Programm eine Kontrolle der Hosentaschen durchzuführen, was weitere Heiterkeitsausbrüche nach sich zog. Auch wurde mir sehr dezidiert mitgeteilt, wer den Strohstern gut gebrauchen könnte und wer die Uhu-Tube: Falls ich drauf verzichten kann….
Zum Schluss meinte ich: „So, wir gehen noch einmal mit dem Tablett raus und nehmen etwas weg. Danach stelle ich das Tablett unter den Tisch und wir schauen mal, ob uns alles einfällt, das zuvor darauf gelegen hat. Wer mag noch einmal raus gehen?“ Keine Reaktion. Ich schaute besonders motivierend und aufmunternd in die Runde. Ein Herr: „Ja nu, Sie kriegen Geld dafür, dass Sie rausgehen und uns mit Rätseln unterhalten. Wir nicht. Jetzt gehen Sie schon!“
Ein schwieriges und ein leichtes Labyrinth mussten auch dabei sein, wobei eine Dame ihre Nachbarin und Freundin bezichtigte, „abgemalt“ zu haben.
In der Küche hatte ich mir drei Glasschälchen mit Mehl, Salz und Zucker füllen lassen. Das Mehl war natürlich einfach zu erkennen, aber auch Zucker und Salz wurden rein visuell zugeordnet – ganz ohne „Finger anlecken und mal probieren“!

 

Hier sollte man besser auch nicht „anlecken“…

aufmerksam

SeniorInnen und ihre Wortwahl verstehen – Hamburger Mundart übersetzt

Als Hamboorger Deern habe ich viele der Ausdrücke, die ich kenne und gebrauche, lange für „normal“ gehalten. So lange, bis jemand Anderes sie nicht kannte oder nicht verstand. So wie neulich bei einem Seminar, wo die Dozentin beim gemeinsamen Mittagessen den Begriff „begöschen“ nicht kannte. Daher für alle Zugezogenen ein kleiner Überblick über Begriffe aus dem Missingschen und dem Plattdeutschen. Wer mit älteren Menschen arbeitet und zugezogen ist, versteht durch die Beispiele sicherlich mehr. Viel Spaß!
Als kleine Bemerkung vorab: Die Hamburger Arbeiter kannten keinen Dativ, den Genitiv erst recht nicht, daher wird konsequent (auch in meinen Beispielen) der Akkusativ benutzt.

An und für sich: „Das is ja an un für sich kein Problem, aber schwierig wird es dann, wenn…….“ An un für sich meint „generell, normalerweise“

abbeldwatsch: „Wenn der läuft, neee, der is so appeldwatsch!“ Abbeldwatsch meint „tollpatschig, ungelenkig, albern“

backsig: „Jetzt ma vorsichtig, der Tisch is ganz backsig!“ Backsig meint „klebrig“

Bangbüx: „Wat isse doch für ´ne Bangbüx!“ Bangbüx meint „Angsthase“

bannig: „Da is aber bannig wat los“ Bannig meint „viel“

begöschen: „Den muss man aba auch Tach un Nacht begöschen.“ Begöschen (mit langem öö) meint „umsorgen, kümmern, hegen und pflegen“

betüdeln: siehe begöschen

Da nich für: „Dankeschön!“ „Ach was, da nich für.“ Hamburgerinnen haben es generell nicht so mit großen Gesten, ein Dank wird abgetan mit „Da nich für“

fünsch: „Hör sofort auf damit! Du machs mich noch ganz fünsch!“ Fünsch (mit langem üü gesprochen) meint „ärgerlich, wütend, aufgebracht“

Hool di fuchtig! Als ich den Spruch das erste Mal hörte, dachte ich, ich hätte etwas falsch gemacht und würde beschimpft. Aber nein, „Hool di fuchtig“ meint „Bleib gesund!“ Und das ähnlich Klingende „Hool di stief“ meint „Halt durch!“

kieken: „Na, denn lass mich ma kieken.“ Kieken meint „gucken“

krüsch (mit langem üü): „Krüsche Kinder haben´s schwer.“ Krüsch meint „mäkelig, schwierige Esser, anspruchsvoll in der Ernährung“

maddelig: „Och nee, ich fühl mich heut wieder sooo maddelig“ Maddelig meint „müde, abgeschlangen, krank“

mittenmang: „Mittenmang in Hamborch“ Mittenmang meint „mittendrin“

N´beeten scheef hat Gott leef: Ein Satz, um sich oder andere zu trösten, wenn etwas nicht so gelingt wie es soll: „Ein bißchen schief hat Gott lieb.“

Nee, lass man: „Nee, lass man, ich geh lieber nach Hause.“ Freundlich gemeinte, saloppe Ablehnung eines Angebots oder einer Unternehmung

Pamps oder Papps: „Dat ist doch kein Mittachessen, dieser Pamps!“ Pamps meint „Brei“

Pappenheimer: „Wo stecken meine Pappenheimer?“ Scherzhaft für Menschen, die oft etwas Aushecken.

pesen: „Da is sie aber ab gepeest!“ Pesen meint „rennen, schnell fahren“. In Mecklenburg-Vorpommern auch „peern“ oder „peddern“ genannt

pimpelig: siehe „krüsch“

Puschen oder Pampuschen: „Och nee! Da wollde ich doch glatt inne Puschen aus´n Haus gehn!“ Puschen sind Hausschuhe. „Komm mal in die Puschen!“ meint: Beeil dich!

rammdösig: „Wenne zu lange inne Sonne liegst, wirst du davon ganz rammdösig.“ Rammdösig meint „schläfrig, abgeschlagen, matt“

Rotz um die Backen schmieren: Neulich drückte eine sehr gepflegte Dame mir gegenüber aus, wie froh sie über meinen Einsatz sei und wie gern sie mich habe. Kurz darauf hängte sie an, dass sie mir ja „Keinen Rotz um die Backen schmieren“ müsse, schließlich sei sie nicht verpflichtet, mich zu loben. Sie meine es aus ganzem Herzen ehrlich! Rotz um die Backen schmieren ist das Äquivalent zu „Honig ums Maul schmieren“

rum aasen: „Du soll´s mit den Zuckerguss nich so rum aasen!“ Rum aasen oder aasen meint „verschwenden, vergeuden, zu üppig einsetzen“

schedderig: „Nee, min Deern, mit die Hose kanns aber nich zun Arbeiten gehn! Die is doch schedderig!“ Schedderig meint „dreckig, ungepflegt, abgewetzt“

Schinken klopfen: Ich kroch eines Montags auf den Knien halb unter, halb hinter der Leinwand herum, um den Beamer in die Steckdose zu stecken. Daraufhin schlug eine Dame angesichts meines halb verschwundenen Rückens vor, eine Runde „Schinken klopfen“ (Po verhauen) mit mir zu spielen.

Schmöök: „Na Fiete, has noch ´n Schmöök für mich?“ Schmöök ist eine Zigarette oder Zigarillo, generell etwas zum Rauchen

schnoopen: „Ich hab gaar nix mehr zun Schnoopen da.“ Schnoopen meint „naschen“, Schnoopkram sind Süßigkeiten

tüdelig: „Nee, was bin ich heude wieder tüddelig!“ Tüddelig meint „vergesslich, unkonzentriert“

 

aufmerksam

Kino-Abend für SeniorInnen: Die komplexe Frage nach dem richtigen Film

Einen erfolgreichen Kino-Abend für SeniorInnen zu organisieren, ist absolut einfach. Das Vorhandensein eines passenden Raumes und Beamers nehme ich als Voraussetzung an, sodass nur die winzig kleine Frage geklärt werden muss, welcher Film auf positive Aufmerksamkeit zählen kann.
Mit meinem 13-Schritte-Fragebogen lassen sich die allermeisten Klippen umschiffen, sodass ein erfolgreicher Kino-Abend ratz-fatz organisiert ist!

1.) Wird der Film von einer fröhlichen Grundstimmung getragen, bewahrt aber die Grenzen des Anstands und ist dennoch tiefgehend und dezent philosophisch? Wenn ja, ist dies ein guter Anfang, bitte mit der zweiten Frage fortfahren. Wenn nicht, lieber einen anderen Film wählen.
2.) Ist der Film ein Klassiker? Dann werden einige ganz begeistert sein und viele „Schon wieder deeeer….“ meckern. Also lieber nicht. Wähle einen anderen Film und starte wieder bei 1.
3.) Ist der Film neueren Datums? Sind die Schnitte schnell, die Dialoge sehr zügig gesprochen, die Wortwahl „salopp“ und wird eventuell sogar aktuelle Politik wie die „Flüchtlingskrise“ thematisiert? Schwiiiierig, lieber etwas wählen, das zwar dezent modern wirkt, aber eigentlich ruhig und leicht zu verfolgen ist.
4.) Gibt es Gewalt, Vergewaltigungen o.ä.? Angesichts der Möglichkeit von Flashbacks aus Kriegszeiten anderen Film wählen!
5.) Kommt der zweite Weltkrieg vor? Schwierig, da einerseits die Aktivierung von schlechten Erinnerungen (Traumata) möglich ist und andererseits die meisten SeniorInnen „nie wieder an diese schlimme Zeit denken wollen“.
6.) Thematisiert der Film Tod und Sterben? Bloß nicht, die meisten älteren Menschen versuchen so oft wie möglich, gerade nicht darüber nachzudenken.
7.) Religion, Glauben und alle Diskussionen, die damit verbunden sein können, sind auch keine passende Grundlage für einen Film, der so viele wie möglich ansprechen soll. Zurück auf 1.
8.) Kommen Schimpfworte und viel ungefilterte Umgangssprache vor? Ganz schlecht, anderen Film wählen.
9.) Gibt es „eindeutige Szenen“ und/oder anzügliche Sprache? Oder sehr freizügig gekleidete DarstellerInnen? Ganz schlecht, anderen Film wählen.
10.) Werden politische Meinungen dargestellt, mit denen sich eine durchschnittliche Seniorin nicht identifizieren kann? Ganz schlecht, anderen Film wählen.
11.) Ist der Ton von einer großen Dynamik geprägt, ist also teilweise sehr leise und plötzlich sehr laut? Aufgrund von altersbedingt eingeschränktem Hören sowie dem Tragen von Hörgeräten sehr unangenehm für die SeniorInnen, anderen Film wählen.
12.) Ist der Film synchronisiert und das noch nicht einmal sehr gut? Schwierig, da viele Seniorinnen gern zum Verstehen zusätzlich auf den Mund schauen und dadurch mehr irritiert als unterstützt werden. Lieber anderen Film wählen.
13.) Ist der Film länger als achtzig, maximal neunzig Minuten? Ganz schlecht: Der Rücken zwickt, die Blase drückt, ein guter Prozentsatz nickt sowieso weg. Zurück auf 1.

Wunderbar, so wahnsinnig schnell ist ein passender Film gefunden!
Dann braucht ja nur noch der Raum so belüftet werden, dass er weder zu warm, noch zu kalt, noch zugig, aber gleichzeitig voller Frischluft ist.
Die Beleuchtung schön gedimmt, nicht zu hell, nicht zappenduster, damit man auch mal austreten kann.
Der Ton soll überall gleich gut verständlich sein, nicht blechern, nicht quitschig, nicht dumpf, nicht zu laut, nicht zu leise, einfach gut zu verstehen! Das kann doch nicht so schwer sein bei achtzig verschiedenen Hörgeräten im Raum, oder???

Na also, so unkompliziert und locker aus der Hand ist ein angenehmer Kino-Abend für SeniorInnen geplant!
Das war doch ein Klacks!

Bilder von The Graphics Fairy

Atemfreude, aufmerksam, Presse

Artikel im „Hamburger Abendblatt“ über meine Atemfreude

Um juristisch auf der sicheren Seite zu sein, zeige ich hier nicht den originalen Artikel, sondern einen Einblick in den internen „Hauskurier“

In der aktuellen Wochenendausgabe der größten Hamburger Tageszeitung ist ein Artikel über meine „Atemreisen“ erschienen.
Am 20. Juni fand die Atemfreude „Ausflug ins Freibad“ statt. Viele BewohnerInnen gondelten mit dem Bus auf einer Ausfahrt durch Norddeutschland, sodass wir eine sehr handverlesene, kleine Gruppe waren. Umso intensiver profitierten die Einzelnen von der gemeinsamen Stunde. Während dessen notierte die Journalistin ihre Eindrücke zum Konzept und fotografierte. Anschließend folgte ein Interview mit mir und seitdem war ich gespannt, wann und wie der Bericht abgedruckt wird.
In der Senioren-Residenz, in der meine Kurse stattfinden, leben fitte Damen und Herren in hochpreisigen Appartements und genießen ein äußerst umfangreiches Programm: Von kulturellen Angeboten über sportliche Kurse, Ausflüge und kreative Treffen ist täglich eine Menge los.

Martina Petersen, die Journalistin, hat mir erlaubt, den Text hier zu veröffentlichen. Vielen Dank!

Mit ihren interaktiven Atem- und Lockerungsübungen begeistert die ausgebildete Logopädin Marie Krüerke (33) auch gesundheitlich eingeschränkte Bewohner in der Kursana Residenz Hamburg.

„Atemreisen“ für Senioren

In der Mitte des Stuhlkreises ist aus Badelaken, Sonnenhut und Backförmchen liebevoll eine typische Strandszene aufgebaut. „Erinnern Sie sich noch daran, wie Sie in Ihrer Jugend an den Badesee gefahren sind?“, fragt Marie Krüerke (33) in die Runde. Die acht Bewohner, die heute zur „Atemreise“ in den Gymnastiksaal der Kursana Residenz Hamburg gekommen sind, nicken eifrig. „Dann schließen Sie kurz die Augen und tauchen Sie ganz in die schöne Erinnerung ein“, sagt die ausgebildete Logopädin, die seit einem halben Jahr in der sozialen Betreuung der Niendorfer Senioreneinrichtung arbeitet. Während sich auf den Gesichtern der Senioren ein Lächeln ausbreitet, startet Marie Krüerke fröhlich eine Phantasiereise, in die sie spielerisch eine Vielzahl therapeutischer Übungen eingebaut hat.
„Viele alte Menschen sitzen einen Großteil des Tages. Der Brustkorb fällt ein, Schultern und Nacken sind oftmals verspannt. Die nach vorn geneigte Haltung wird durch das Gehen am Rollator noch verstärkt“, sagt sie. „Mein Ziel ist es, die Bewohner in eine angenehm aufgerichtete Haltung zu bringen, damit die Lunge wieder Raum zum Atmen bekommt. Da ich auch kognitiv eingeschränkte Senioren ansprechen möchte, tauchen wir gemeinsam in eine Szenerie ein, mit der alle eine möglichst positive Erinnerung verknüpfen.“ So führten die Phantasiereisen, an der auch zahlreiche hochbetagte und demenziell erkrankte Senioren regelmäßig teilnehmen, bereits auf einen Bauernhof, in den Botanischen Garten oder in den Zirkus.
„Der liebevolle Zuspruch, den wir in dieser Runde bekommen, motiviert mich enorm“, sagt Bewohnerin Hella Ebert (99), die alle Übungen im Sitzen ausführt. Mobilere Senioren stapfen indes an der Seite von Marie Krüerke mit kräftigen Schritten im Kreis auf einem imaginären Kiesweg zum Badesee. Dann pusten alle mit kräftigen Atemzügen einen Schwimmreifen auf, wiegen sich mit ihm in den Hüften und tauchen mit weiten Schwimmbewegungen ins erfrischende Nass ein. Spätestens jetzt sind die Senioren mit allen Sinnen in der fröhlichen Szenerie angekommen, viele seufzen genüsslich. Selbst anstrengende Bewegungen wie das Dehnen der Flanken bei den anschließenden Kraulbewegungen führen sie mit einem Lächeln auf den Lippen aus.
Nachdem ein Theraband als Badelaken zum kräftigen Abrubbeln des Wassers vom Körper fungierte, verteilt Marie Krüerke zur Entspannung an alle Seifenblasen. Ilse Erdmann (97) pustet mit entspannten tiefen Atemzügen wie an einer Perlenkette eine Vielzahl bunt schillernder Blasen in den Raum. „Das habe ich schon als Kind sehr geliebt“, sagt sie glücklich.
„Die Senioren-Generation, die bei uns lebt, hat ihr Leben meist mit großer Disziplin bewältigt und war auf Durchhalten programmiert. Viele Frauen waren ihr Leben lang in erster Linie für ihre Kinder und die Familie da“, sagt Marie Krüerke. „Ich freue mich, wenn ich ihnen jetzt spielerisch solche Wohlfühlmomente in der Gemeinschaft vermitteln kann. Es berührt mich sehr, wie viel Dankbarkeit sie mir dafür entgegenbringen.“
Anschließend sollen sich die Kursteilnehmer vorstellen, mit einem Blasebalg begleitet von kräftigen „f-t“-Lauten zur Stimulierung des Zwerchfells eine Luftmatratze aufzupumpen. Nachdem sie sich in der Vorstellung Sonnenmilch ins Gesicht einmassiert haben, wird mit ausholendem Zungenkreisen ein imaginiertes Eis geschleckt. „Hmmm! Lecker Schokoladeneis“, ruft Ursula Krönke (88) begeistert. Durch die ganzheitliche Körperaktivierung bei den „Atemreisen“ wird die Lunge gestärkt, die aufrechtere Haltung unterstützt die Position des Kehlkopfes im Hals und die Stimmlippen können besser schwingen. So können sich zum Abschluss alle daran freuen, mit deutlich belebter Stimme einige Sommerlieder anzustimmen.
„Ich war nach einer schweren Lungenentzündung gesundheitlich sehr angeschlagen“, erzählt Ursula Krönke, die zusammen mit ihrem Mann regelmäßig an den „Atemreisen“ teilnimmt. „Durch diese Übungen habe ich wieder mehr Weite im Brustkorb und bekomme viel besser Luft. Und ich bin auch motivierter, allein für mich Atemübungen zu machen.“

Inzwischen habe ich mein Konzept für eine Fachzeitschrift aufbereitet und werde berichten, sobald dort der Abdruck erfolgt.

Wer mehr zum Konzept der Atemfreude wissen möchte:

Grundlagen des Konzepts
Begriffserklärung in fünf Sätzen
Atemübungen mit dem ganzen Körper genießen
Einblick in eine Atemfreude – was währenddessen passiert
Spielen verboten! Ich bin doch schon neunundachtzig!

Bei Madoo habe ich die ersten Atemfreude-Konzepte hier veröffentlicht.

Atemfreude, aufmerksam

„Atemfreude“: Interaktive Geschichten für Atem- und Lockerungsübungen in der Gruppe

Für meine SeniorInnen habe ich ein Konzept entwickelt, wie ich mit inneren Vorstellungen und bildhafter Sprache Atemübungen anleite. Die heterogene Gruppe besteht teilweise aus fitten SeniorInnen, die alle Bewegungen ausführen können, und teilweise motorisch und geistig stark eingeschränkten Personen.
Durch das viele Sitzen mit eingesunkenen Schultern und eingeschränkter Beweglichkeit des Brustkorbs verflacht die Atmung bei vielen älteren Personen. Dies führt dazu, dass sie sich subjektiv kurzatmiger und schwächer fühlen, als sie oft sind. Dank der Übungen zur Aufrichtung (Körperhaltung), zur Lockerung verspannter Körperbereiche und Vertiefung der Atmung fühlen sich viele Betroffene deutlich beweglicher und kraftvoller.

In meinem Kurs „Atemfreude“ stelle ich jeden Termin unter ein Motto, zum Beispiel „Ein Morgen auf dem Bauernhof“, „Frühjahrsputz“ oder „Spaziergang durch den botanischen Garten“.
Alle Übungen können im Stehen ebenso wie im Sitzen durchgeführt werden. Perfekt zum Sitzen wäre ein Hocker, da er dem Oberkörper mehr Bewegungsspielraum als ein Stuhl lässt.
Die Übungen leite ich alle indirekt an.
Statt „Wir strecken unseren Oberkörper und die Arme zu allen Seiten“ sage ich „Die Sonne scheint auf die Katze, die sich genüsslich in der Wärme räkelt. So dehnen wir uns auch und machen uns ganz lang“.
Einerseits können so Personen, die kognitiv (geistig) eingeschränkt sind, auch bei komplizierten Übungen alles verstehe. Das hilft Betroffenen nach Schlaganfällen, Personen mit Demenz, aber auch Menschen mit geringen Sprachkenntnissen aus anderen Kulturkreisen. Andererseits aktiviert eine bildhafte Sprache unsere Intuition, sodass die Bewegungen von innen heraus ganz natürlich ausgeführt werden, statt mechanisch als „Aufgabe“ abgearbeitet.
Im Anschluss singen wir grundsätzlich sehr bekannte, fröhliche Lieder, die zum Thema passen. So erleben die SeniorInnen ihre Stimme deutlich kraftvoller und klarer als sonst, weil die vorangegangenen Körperübungen mehr Dynamik verleihen. Außerdem werden Lieder über die rechte, assoziative Hirnhälfte abgerufen. Auch Personen mit eingeschränktem Gedächtnis können plötzlich wieder flüssig mitsingen, unabhängig von Schädigungen in der linken, analytischen Hirnhälfte.
Lieder transportieren Emotionen und wecken Erinnerungen an längst vergangene Zeiten. So verlassen alle Teilnehmenden beschwingt und lächelnd den Gymnastiksaal.

Bereits vor einiger Zeit habe ich mehrere Stundenkonzepte bei madoo hochgeladen. Dort teilen LogopädInnen ihre Übungen mit Kolleginnen. Bisher haben es drei Konzept auf die Website geschafft: Ein Tag auf dem Bauernhof,  Ein Tag am Meer und Ein Tag im Zirkus.
Eine Übungssammlung, die Atmung und ganzkörperliche Aktivierung verbindet, bietet sich für eigene Therapiestunden mit einzelnen PatientInnen an.
Wer mich über das Kontaktformular anschreibt, bekommt die Konzepte gern direkt zugesandt. Je nach Nachfrage veröffentliche ich sie auch hier auf dem Blog.