aufmerksam, glaubhaft

Lachen und Weinen liegen im Arbeitsalltag eng beieinander…

Zwischen Lachen und Weinen: So schwankte ich als Logopädin mit „meinen“ Kindern oft im Laufe einer Arbeitswoche.
Aber auch die SeniorInnen sind MeisterInnen darin, mich an den Rand des Wahnsinns und wieder zurück zu treiben. Mir ist sehr wichtig, meine wöchentlichen Veranstaltungen abwechslungsreich und spannend zu gestalten. Ich langweile mich sehr schnell, daher fällt es mir im Traum nicht ein, bestimmte Erfolgsrezepte zu wiederholen, bis sie „abgenudelt“ sind. Glücklicherweise ist mein Hirn springlebendig, und ich habe bereits bis in den März bestimmte Highlights im Veranstaltungskalender geplant. Okay, es sind eher Experimente, aber dank meines Gespürs werden Experimente oft zu Höhepunkten.
So auch die „Philosophischen Nachmittage“, die ich in größeren Abständen immer mal wieder anbiete: Zum Thema „Glück“ oder „Dankbarkeit“ oder auch „Was ist eigentlich Kunst?“ Diese Woche hatte ich, passend zum Jahresanfang, das Motto „Anfänge und Neuanfänge“ bzw. „Abschiede und Anfänge“ geplant. In meinen Augen ein lebenslang spannendes Thema. Wie immer hatte ich Zitate weiser Menschen heraus gesucht, kurze Vorlesetexte vorbereitet, Fragen und Mitmach-Impulse geplant und drei nachdenkliche Lieder zum Vorspielen ausgesucht.


Die ersten Besucherinnen kamen bereits, während der Haustechniker erst begann, die Tische und Stühle zu stellen. Nachdem ich seinen Kollegen bereits gefragt hatte, wann er denn plane, mal den Raum vorzubereiten, schließlich kämen in sieben Minuten garantiert die Ersten… Dann dirigierte ich die Damen auf extra Stühle, die ich am Rand aufstellte, damit sie nicht in seliger Ahnungslosigkeit mitten im Raum die Aufbauarbeiten behindern.
Die Kopien holen, große Tischdecken besorgen, meine Deko aus dem Büro tragen, noch mal lüften, nach dem Kaffeewagen schauen, weitere Damen auf Plätze am Rand des Schlachtfelds um den Haustechniker lotsen, die Musikanlage aufbauen, … Zwanzig Minuten vor Beginn der Veranstaltung war mir, wie immer, bereits sehr warm.
Und dann ging es los: Die Begrüßung lief noch rund, dann zickte die CD zum ersten Lied, das als Einstimmung dienen sollte. Ich wählte Lied Nummer zwei, da ich unmöglich ein Lied ankündigen und dann nichts hören lassen kann. Auch, wenn es thematisch nicht ganz passt…. Der ausgeteilte Fragebogen zum Nachdenken traf auf Skepsis, eine besonders bockige Dame machte ihrer Unmut bereits Luft. Die erste Geschichte rührte alle an, manche begannen einen zarten Applaus. Meine Moderation als Anregung zum Austausch stachelte die widerspenstige Dame zu bissigen Bemerkungen an, es entstand Unruhe. Ich leitete zum nächsten Programmpunkt über, die Unruhe hielt sich. Dann wollte ich zwei Seiten als 17 Kopien austeilen, aber der Kopierer hatte von beiden Blättern nur die Hälfte kopiert. Ich erklärte, dass der Text nur zum Mitlesen des nächsten Lieds gedacht sei, weil der Sänger manchmal nuschle und doch auch die höreingeschränkten Anwesenden alles verstehen sollen. Daher bat ich alle, zu zweit ein Blatt zum Mitlesen zu benutzen. Ich gab ganz gerecht jeweils zwei Sitznachbarinnen eine gemeinsame Kopie. Es gab einen Tumult, weil die spezielle Dame mit ihrem Mann auf den Zettel schauen wollte, nicht mit ihrer Nachbarin. Damit erhielten aber drei Damen über Eck gar kein Blatt, was schlichtweg unmöglich ist. Entweder schaute sie mit ihrer Nachbarin auf´s Blatt, oder sie wartete ab und ließ sich nach dem Lied die Kopie ihres Mannes geben, der es wiederum mit der Dame eine Reihe weiter teilte. Das war doch machbar?!
Die Situation eskalierte weiter.
Wir hörten das Lied an. Eine Dame meinte: „Schon ganz schön düster, dieser Text…“ Kurz darauf fragte sie, noch im Verklingen der letzten Töne, ob sie das Liedblatt mit nach Hause nehmen könne. Andere waren bewegt, manche hatten Tränen in den Augen. Ich teilte ein Arbeitsblatt aus und sagte, dass wir dabei einen Moment unseren eigenen Gedanken nachhängen können. Niemand musste etwas notieren, aber wer mochte, konnte dazu das Blatt nutzen. Die bestimmte Dame brach eine Diskussion vom Zaun, warum ich mit der Runde derartige Lebensfragen erörterte, wo ich doch wesentlich jünger bin und schlichtweg keine Ahnung von gar nichts habe?
Inzwischen war mein Kopf knallrot und ich zog ernsthaft in Erwägung, die Dame wahlweise zum Schweigen oder Verlassen des Raums aufzufordern. Ich führte die Veranstaltung professionell zu Ende durch, ließ einen Teil weg, und fand Abschiedsworte, die diese turbulente Stunde möglichst friedlich beendeten.
Eine Dame kam vorbei, während sich viele von mir verabschieden wollten und andere die Kaffeetassen einsammelten, und meinte: „Hoffentlich haben wie Sie heute nicht zu sehr aufgeregt…“

Tags darauf:
Ich besuchte eine Dame. Sie: „Marie, Sie hatten gestern soooo einen roten Kopf, ich dachte, Sie platzen gleich! Aber die Frau HFRZHJL auch immer…. schrecklich, dieses Benehmen! Und dann müssen Sie sie im Anschluss ja auch noch in der Englisch-Stunde ertragen!
Schauen Sie mal, ich habe hier so einen komischen Sss-näck. Der ist wie Chips, mit Kartoffeln, aber er schmeckt so… seltsam. Ich wollte gestern so gemütlich abends…. also…. (sie schaute mich scharf an und flüsterte) mit einem Schluck Wein…. nur EIN Schluck!!!… wollte ich es mir so gemütlich machen. Aber bäh, dieser Ssnäck…. ich bring Ihnen das mal!“ Schon zischte sie in die Küche, ich hinterher. Bedienen lasse ich mich von alten Damen nicht!
„Hier, Marie, ich habe Ihnen wieder alle Zettelchen vom Teebeutel aufbewahrt, mit den Sprüchen… die können Sie doch so gut gebrauchen?! Mit den schlauen Sprüchen, Sie haben doch für uns immer so weise Sprüche vorbereitet… Ist das albern, Marie? Ich mach das doch extra für Sie…“ Ich bestätigte, dass ich mich sehr über ihre treue Sammlung an abgerissenen Teebeutel-Zettelchen freute. Wirklich.
„Marie, Sie müssen mal dieses Zeugs probieren. Den Ssnäck. Hier.“ Sie hielt mir die Packung hin. Ich überlegte, ob ich wie immer ablehnte, weil ich ja gerade Mittag gegessen hatte. Was die reine Wahrheit war. Andererseits weiß ich genau, wie es um die Hygiene der Dame bestellt ist, daher lehne ich ihre Lebensmittel stets ab. Dieses Mal konnte ich mich wohl nicht retten…
„Frau lLGRV, das Produkt hat corn im Namen, das heißt Mais auf englisch.“ „Das kann ich doch nicht ahnen.“ „Ich meine, deswegen schmeckt es vielleicht anders, als Sie erwartet haben. Schauen Sie, hier ist noch so ein Bild im Kreis, da steht aus sonnenverwöhntem Mais, handverlesen und gestreichelt.“ „Ja ja, ich muss eben besser hingucken, aber ich wollte doch Geld sparen, das war im Angebot. Jetzt müssen Sie das auch essen!“
Ich fischte todesmutig ein seltsam geformtes Maisdings aus der fast leeren Tüte und steckte es mir in den Mund. Sie klammerte sich an meinen Arm: „Und ist es sehr schlimm? Sie können es auch ausspucken! Spucken Sie es in den Ausguss! MARIE! Los! Oder schnell ins Klo! Schnell!!!“ Sie drückte heftig und voller Sorge um mein Wohlergehen meinen Oberarm. Ich war etwas irritiert: Erst sollte ich es unbedingt probieren, aber kaum, dass ich es im Mund hatte, schnellstmöglich ausspucken? Ich winkte ab und meinte, so schlimm sei es doch gar nicht.

Was soll ich sagen: Weinen und Lachen liegen hier oft sehr eng beieinander….

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